Seidlvillaausstellung: Kunst hilft bei psychischer Erkrankung

Schwabing · Der vitale Impuls

Susanne Hauenstein (2. v. l.) und Günther Kerbl (r.) treten als eines der »Künstlerpaare« bei der Ausstellung in der Seidlvilla auf.	Foto: scy

Susanne Hauenstein (2. v. l.) und Günther Kerbl (r.) treten als eines der »Künstlerpaare« bei der Ausstellung in der Seidlvilla auf. Foto: scy

Schwabing · Die Depression hat nicht angeklopft, hat nicht gefragt, sie kam in sein Leben wie ein ungebetener Gast. Doch wie dunkel die Stunden dann waren, Günther Kerbl hat erst recht nicht aufgehört, nach Pinsel und Farbe zu greifen.

Auch nicht in Zeiten, in denen er in der Psychiatrie in Haar untergebracht war. »Ich tue mir immer etwas Gutes, wenn ich male«, sagt er. »Also höre ich nicht damit auf.« 12.000 Bilder hat der produktive Künstler bereits geschaffen, zwei davon werden ab dem heutigen Mittwoch, 24. Oktober, in der Schwabinger Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b, in der Ausstellung »Die Kunst in mir – eine Begegnung mit Dir« zu sehen sein, gemeinsam mit den Werken weiterer Künstler mit und ohne Psychiatrieerfahrung. »Insider-« und »Outsiderkünstler« begegnen sich, das ist die Idee. »Wir möchten unseren Beitrag dazu leisten, Vorurteilen und sozialer Ausgrenzung entgegenzuwirken.

Die Kunst ist dafür ein ideales Medium, sie schafft eine Brücke zwischen dem Betrachter und denen, die wie in diesem Fall, am Rand stehen«, erklärt Ulrike Ostermayer von der Kunstwerkstatt des kbo-Sozialpsychiatrischen Zentrums. Sie hat das Ausstellungsprojekt gemeinsam mit der Seidlvilla auf die Beine gestellt – kbo steht für Verbund der Kliniken des Bezirks Oberbayern. Insbesondere psychisch Kranke hätten, so Ostermayer, viele Stigmata von der Gesellschaft auferlegt bekommen. »Man hört das doch immer wieder, dass Menschen protestieren, wenn eine Einrichtung für psychisch Kranke in ihre Nachbarschaft ziehen soll«, sagt sie. Wer Berührungsängste mit Betroffenen habe, der könne bei der Kontaktherstellung den Umweg beispielsweise über die Bilder nehmen. »Die Werke von Menschen mit einer psychischen Erkrankung imponieren durch ihre irritierende Fähigkeit zur Unabhängigkeit und ihre Besonderheit«, so Ostermayer. »Menschen mit einer psychischen Erkrankung sind meist relativ unbeeinflusst vom aktuellen künstlerischen Geschehen in unserer Gesellschaft, sie sind ein vitaler Impuls für zeitgenössische Kunst.«

So ambitioniert das Projekt auch ist, einen Ort für die Ausstellung zu finden, gestaltete sich schwierig. Dann kam das Ja von der Seidlvilla. Die Chefin des Hauses, Johanna Brechtken, erklärt, warum sie sich für die Sache erwärmen konnte: Das Projekt passe zur Seidlvilla. »Wir sind Forum für alles, was die Menschen bewegt, und wollen die Vielfalt zeigen, die Menschsein ausmacht.« Das Haus würde durch die verschiedenen Ausstellungen, die hier jedes Jahr laufen, immer wieder aufs Neue verändert, das mache es spannend. Besonders interessant habe Brechtken gefunden, dass die Künstler bei »Die Kunst in mir – eine Begegnung mit Dir« als Paare auftreten, jeweils zusammengesetzt aus einem Künstler mit und einem ohne Psychiatrieerfahrung, sechs Paare sind es insgesamt. Gefunden haben sie sich fast alle, wie Günther Kerbl und Susanne Hauenstein, in der Kunstwerkstatt des kbo-Sozialpsychiatrischen Zentrums, wo gut 30 Künstler tätig sind.

»Neue Welt« entdeckt

Die Künstler von »draußen« wurden von Therapeuten eingeladen, sich ihren Partner im Zentrum auszusuchen. »Als ich dort ankam, war ich beeindruckt von dem lebendigen Treiben«, erzählt Hauenstein. »Auch fühlte ich mich ein wenig als Eindringling in eine Welt, mit der ich sonst nicht in Berührung kam. Eine Welt, die mir in diesem Moment nicht schlechter vorkam als meine eigene. Nur anders.« An Kerbls Bildern fasziniert sie ebenfalls das Andersartige. »Er tut genau das Gegenteil von dem, was mir in meinen Bildern wichtig ist, und genau darin liegt die Spannung, das interessiert mich«, so Hauenstein.

Kerbls Bilder wirken ruhig, meditativ, bei Hauenstein steht das »Wuselige«, die Bewegung im Zentrum. Im ersten Gespräch, so berichtet es Kerbl, war schnell Vertrauen da. »Ich hatte da gerade ein Tief, doch im Laufe des Gesprächs hat sich die Depression gelegt.« Erstaunt stellten beide fest, dass sie zur selben Zeit, in den 80erJahren, an der Münchner Kunstakademie studiert hatten. »Noch etwas, was verbindet«, so Kerbl. Während die Werke bei Hauenstein und Kerbl schon vor ihrer Begegnung fertig waren und dann zueinander in Beziehung gesetzt wurden, entstanden sie bei anderen Paarungen erst danach oder wurden gemeinsam in der Kunstwerkstatt erschaffen.

Ausstellung bis 18. Dezember

So stellen auch Katja Laschinsky und Günther Neupel aus, Hanna Strahl und Gennaro Raimo, Waltraud Münzhuber und Max Hueber, Stella Colmann und Flavia Zimmermann und Friederike Warneke und Jury Bodrov. Warneke, die ihre Werke vor allem aus Alltagsgegenständen wie etwa Fahrradschläuchen kreiert, sieht in der Begegnung mit Psychiatrieerfahrenen nichts Befremdliches. »Wenn man künstlerisch arbeitet, ist man sowieso auf eine Weise verrückt, man hält sich in anderen Welten auf«, sagt sie. Auch keine Berührungsängste hat Kabarettist Gerhard Polt. Als Schirmherr des Sozialpsychiatrischen Zentrums ist er am Mittwoch bei der Vernissage mit von der Partie. Die Vernissage ist am heutigen Mittwoch um 19.00 Uhr mit Gerhard Polt und einem musikalischen Beitrag von Sepp Raith. Zu sehen ist die Ausstellung von Donnerstag, 25. Oktober, bis Dienstag, 18. Dezember. Geschlossen ist sie am Samstag, 27., und am Sonntag, 28. Oktober, sowie am Donnerstag, 1., Samstag, 24., und Sonntag, 25. November, die Öffnungszeiten sind täglich von 12.00 bis 19.00 Uhr. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 23.10.2012
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