Mit »Baby-Bedenkzeit« Überforderung Jugendlicher vorbeugen

Schwabing · Eltern auf Probe

Beim Projekt »Baby-Bedenkzeit« lernen Jugendliche einiges über Nachwuchs. Auch, dass Eltern sein anstrengend sein kann.	Foto: Ingrid Lanfranco/hpkj e.V.

Beim Projekt »Baby-Bedenkzeit« lernen Jugendliche einiges über Nachwuchs. Auch, dass Eltern sein anstrengend sein kann. Foto: Ingrid Lanfranco/hpkj e.V.

Schwabing · Bei Babys erstem Lächeln wird Eltern ganz warm ums Herz. Doch was, wenn das Neugeborene sich die Lungen aus dem Leib schreit und nicht mehr zu beruhigen ist? Nicht alle Mütter und Väter sind in der Lage, dann die Nerven zu bewahren.

Und manche tun dann das, was man am liebsten gar nicht wahrhaben will – sie schlagen zu. »Das ist leider traurige Realität«, sagt Ingrid Lanfranco, die mit dem Projekt »Baby-Bedenkzeit« gegensteuern will. Ein Angebot des heilpädagogischen Kinder- und Jugendhilfevereins (hpkj) an der Saarstraße, speziell für Jugendliche, um ihnen bewusst zu machen, was Elternsein bedeutet und welche Herausforderungen es mit sich bringt. Voraussichtlich im November sollen nun fünf bis sechs Schüler der Schwabinger Mittelschule an der Simmernstraße die Gelegenheit bekommen, auszuprobieren, wie es sich anfühlt, Mutter oder Vater zu sein. Möglich ist das allerdings erst, wenn auch der Bezirksausschuss Schwabing-West (BA 4) einen Zuschuss genehmigt – darüber wird am heutigen Mittwoch in einer öffentlichen Sitzung entschieden.

Ein erstes Ja und damit 921 Euro gab es bereits vom Bezirksausschuss Schwabing-Freimann (BA 12). Beide Gremien wurden deshalb gefragt, weil die Simmernschule quasi im Grenzbereich von BA 4 und BA 12 liegt. »Wir haben keine anderen Möglichkeiten der Finanzierung«, erklärt Lanfranco. Gelder vom Stadtjugendamt für das Projekt gibt es ausschließlich für Jugendliche aus der stationären und ambulanten Jugendhilfe, also für solche, die gewissermaßen vorbelastet sind. Inzwischen aber ist auch die Nachfrage andernorts groß, Schüler und Lehrer an Regelschulen zeigen Interesse. »Wir wollen den Anfragen gerne nachkommen, was aber nur geht, wenn die Finanzierung steht«, so die Pädagogin und Familientherapeutin.

»Baby-Bedenkzeit« ist ein Konzept, das vor allem in Bayern noch relativ wenig verbreitet ist, während es im Norden der Republik bereits üblich ist, das Projekt anzubieten. Weil sie immer wieder erlebt hat, dass es Missverständnisse gibt, betont Lanfranco: »Es handelt sich weder um einen Wickelkurs noch um einen Babyführerschein.« Auch wollen sie und ihr Kollege Stefan Schelle keinesfalls die Jugendlichen abschrecken. »Elternsein hat viele Facetten, und die wollen wir zeigen«, so die Expertin. Vor allem aber gehe es darum, und das ist der Schwerpunkt in Lanfrancos Konzept, mit Überforderungssituationen adäquater umzugehen. Stichwort »Gewaltprävention«. Im Fokus stehen Fragen wie: Was mache ich, wenn mich mein Baby an meine Grenzen bringt? Wie erkenne ich überhaupt, dass ich überfordert bin? Was tue ich, um nicht »auszurasten«? Wie und wo hole ich mir Hilfe?

Die teilnehmenden Jugendlichen erleben etwa ihre Elternschaft auf Probe vier Tage und zwei Nächte lang. Jedem wird eine Simulationspuppe anvertraut, ein so genanntes »RealCare«-Baby, das wie ein echter Säugling schläft und schreit, das gefüttert, gewickelt, berührt und versorgt werden will. Das »Learning by doing« sorgt regelmäßig für Aha-Effekte.

Die Jugendlichen äußern oft, dass sie sich das ganz anders vorgestellt hätten. »Es herrschen viel zu romantische und auch naive Vorstellungen darüber, wie es ist, ein Baby zu haben«, berichtet Lanfranco. Besonders Mädchen würden von den »niedlichen und putzigen« Kleinen schwärmen – beinahe als handle es sich um ein Kuscheltier. Gründe fürs Kinderkriegen können auch andere sein: Das Baby sei nicht selten Ersatz und müsse sozusagen für die eigenen Bedürfnisse herhalten. Beispielsweise weil man selbst nicht viel Liebe bekommen hat und sie sich nun von seinem eigenen Kind ersehnt. Oder weil man den Freund nicht verlieren und ihn mit einem Baby an sich binden will. »Verhütung ist heutzutage nicht das Problem. Verhüten können die eigentlich alle«, so Lanfranco. Nicht selten, insbesondere bei Minderjährigen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, weil sie etwa ohne Aussicht auf einen Abschluss oder einen Job sind, gebe es laut Lanfranco eine regelrechte Flucht in die Schwangerschaft.

Doch je früher die Schwangerschaft, und das besagen wissenschaftliche Studien, desto höher das Risiko der Kindesmisshandlung und Vernachlässigung, und zwar wenn im Vorfeld keine gezielte präventive Förderung der Eltern- und Beziehungskompetenz erworben wurde. »Leider setzen die meisten Hilfsangebote und Gewaltpräventionsprogramme erst nach der Geburt des Kindes an, also erst, wenn die Überforderung schon eingetreten ist«, weiß Lanfranco. Umso wichtiger sei es daher, »Baby Bedenkzeit« anzubieten. Die meisten würden dadurch ein realistischeres Bild von der Situation mit Kind und mit sich selbst bekommen, sie würden ihre Grenzen und ebenso ihre Kompetenzen erleben, so die Fachfrau. Am Wunsch nach Kindern ändere der Kurs in der Regel nichts. Nur der Zeitpunkt, eine Familie zu gründen, den verlegen die Jugendlichen dann doch meistens auf später als ursprünglich geplant.

Weitere Informationen unter Tel. 2889070 und per E-Mail unter potential@hpkj-ev.de. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 25.09.2012
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