Albrecht Ackerland im Münchner SamstagsBlatt über das Fleisch

München · „Da schau her!“ - Was Leben eigentlich bedeutet

München · Was wären wir Münchner ohne unsere Wurst und unser Fleisch. Wenn uns Auswärtige besuchen, dann ist ein Biergartenbesuch mit Wurstsalat, Schweinsbraten in einer holzdunklen Wirtschaft, vor allem aber ein Weißwurstfrühstück vor dem lästigen Zwölfuhrleuten Pflicht.

Das wird bei Ihnen nicht anders sein wie bei mir. Wenn mich ein Spezl aus Berlin besucht, dann will der eine Wurst. Dagegen die Bavaria anschauen, über den Odeonsplatz gehen, Schloss Nymphenburg: zweit-, dritt-, viertrangig. So samma: Bei uns Deutschen geht’s um die Wurst und ums Fleisch. Sie gelten als touristische Attraktion – von Franken bis Thüringen.

Neulich durfte ich mir einen alten Wunsch erfüllen. Ich war beim Schlachten mit dabei. Ein Freund ist Metzger in einem Bio-Betrieb auf dem Land. Die Tiere werden am Abend angeliefert, diesmal waren es ein Ochs und vier Kälber, verbringen die Nacht auf Stroh zusammen in einem Stall, der direkt ans Schlachthaus grenzt. Um Fünf in der Früh geht’s dann los. Ganz ruhig, respektvoll wird das erste Tier ums Eck in eine Box geführt mit so wenig Stress und Hektik wie nur möglich. Die anderen Tiere bekommen nicht mit, was gleich passiert. Dann geht alles ganz schnell. Bolzenschussgerät an den Kopf, es schnalzt, das Tier fällt um. Dann öffnet der Metzger im Schlachtraum eine Klappe, gegen die das tote Tier lehnt. Nun liegt das Rind da, die Klappe schließt sich wieder, schottet den Stall ab. Es war für mich sehr berührend, in offene Kälberaugen zu schauen, aus denen just das Leben langsam weicht, tot sehen sie noch nicht aus, obwohl der Bolzen dem Hirn die Möglichkeit geraubt hat, noch zu fühlen. Ein beherzter Schnitt in die Kehle, Blut läuft raus, der Körper läuft leer. Das ist nicht gruselig, sondern ehrwürdig, öffnet einem den Verstand und das Gefühl, was Leben eigentlich bedeutet.

Ich habe mir am Abend ein Steak in die Pfanne gehauen, zehn, zwanzig Euro hat es gekostet. Der Genuss war unvergleichlich, weil ich seit dem Morgen den Wert in einem ganz neuen Umfang erkennen durfte. Dafür musste ein Tier sein Leben lassen, ein Tier, mit dem zuvor zumindest sorgsam umgegangen wurde, bis ganz zum Schluss. Mir hat ein Fleisch noch nie so gut geschmeckt, und nächsten Monat wird es das wieder tun. Wenn wieder Besuch kommt, dann weiß ich, wo ich die Weißwürschte kaufen muss – und wo wir einen Schweinsbraten essen. Dafür musste ich suchen, und habe eine Einstellung gefunden, dass wir Menschen eine Verantwortung haben.

Artikel vom 13.09.2012
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