»Revoluzzer« Ettlich und Schwabing: Liebe auf den zweiten Blick

Schwabing · Erstmal gefremdelt

»Revoluzzer« Wolle Ettlichs Beziehung zu Schwabing war erst Liebe auf den zweiten Blick – davon kann heute keine Rede mehr sein.	Foto: scy

»Revoluzzer« Wolle Ettlichs Beziehung zu Schwabing war erst Liebe auf den zweiten Blick – davon kann heute keine Rede mehr sein. Foto: scy

Schwabing · Also, rasend schnell ging das nicht. Wolfgang »Wolle« Ettlich, der jetzt seinen 65. Geburtstag feierte, und Schwabing – das war Liebe erst auf den zweiten Blick. »Ich kam damals aus Berlin, ich war ein kleiner Revoluzzer«, sagt der legendäre Betreiber des Theaters Heppel & Ettlich.

»Und in München, da war’s halt so ganz anders, da fremdelte ich erstmal.« Inzwischen allerdings kann er sich überhaupt nicht vorstellen, anderswo zu leben. Die Liebe ist gewachsen, die Liebe ist groß. Und die hat er wohl am deutlichsten gezeigt mit einem Dokumentarfilm über »seinen« Stadtteil. Titel: »Schwabing – meine nie verblasste Liebe«. Filmemacher ist er nämlich auch, der Wolle Ettlich, hat zwei Grimmepreise gewonnen und besitzt eine eigene Filmfirma. Und wenn man ihn so reden hört, über diese Projekte, über jene Projekte, dann wird sofort klar, dieser Mann kommt auch weiterhin nicht zur Ruhe. Dabei ist der Geburtstag neulich fast Nebensache. Er merkt’s nur in den Knochen, dass er älter geworden ist. Fußball spielen geht nicht mehr. Mei, muss ja auch nicht. Macht er halt was anderes.

Beobachten zum Beispiel, das tut er sowieso am liebsten. Und nimmt dabei – natürlich – die Kamera mit. Und die läuft, etwa um Oberbürgermeister Christian Ude in seinem letzten Amtsjahr zu begleiten. Und pubertierende Mädchen, die große Träume haben, die berühmt werden wollen. Und Bürger, die voraussichtlich mit der geplanten dritten Startbahn des Flughafens München leben müssen. Und es geht auch zurück zu Ettlichs Wurzeln, zu seinen Jugendfreunden in Berlin-Neukölln, wie leben die heute, was sind das heute für Menschen. Rund 55 Filme gehen mittlerweile auf Wolle Ettlichs Konto, vor allem Langzeitdokumentationen. »Mich interessiert, wie sich was verändert. Wenn ich jemanden nur eine Woche begleite, das ist doch nichts, da erfahre ich nicht das, worauf es ankommt«, sagt Ettlich. Und worauf kommt es an? »Auf das Wahre«, schießt er heraus. Zack, zack, so kommen seine Sätze. Er redet wie einer, der das Leben kennt – und direkt darauf zugeht.

Etwas wagen, einfach »mitten rin«, das war schon immer die Devise des Berliners. Grenzen passten nicht zu ihm, also verließ er die geteilte Stadt, denn damals, er war 20 Jahre alt, »gab es zu wenig Freiraum, spätestens an der Mauer war Schluss«. Mit seinen Fußballkumpels landete er in Schwabing, in einer 230-Quadratmeter-WG unter dem Dach, Elisabeth-/Ecke Tengstraße.

Man war politisch, auf jeden Fall gegen den Kapitalismus, auch heute noch. »Reich werden, das war nie mein Ziel«, so Ettlich. »Leben will ich, darum geht es doch.« In einer Firma buckeln, geregelte Arbeitszeiten, sich einem Chef unterordnen – nicht sein Ding. So schmiss er in jungen Jahren nach seiner ­Briefträger-Lehre in Kreuzberg hin, weil er sich die Haare schneiden und in einem blauen Postanzug herumlaufen sollte.

Während seines Studiums auf Lehramt, nun schon in München, kam dann diese andere Idee dazwischen. »Mach halt ’ne Kneipe auf«, schlug ein Bekannter vor. Ja, warum nicht, Kneipier, das passte zum Konzept »unabhängig sein«, sein. Kumpel Henny Heppel schloss sich an, im Olympiajahr 1972 übernahmen sie das »Jennerwein« an der Belgradstraße. Vier Jahre später eröffneten sie an der Kaiserstraße eine Kneipe mit einem Theaterraum – das schon bald als In-Treff geltende Heppel & Ettlich.

Erste Schritte im »Heppel«

Auf der Bühne standen viele heutige Berühmtheiten, damals waren sie noch ganz am Anfang, noch niemand kannte ihre Namen: Udo Lindenberg, Fredl Fesl, Georg Ringsgwandl, Sigi Zimmerschied, Ottfried Fischer, Axel Hacke, Piet Klocke, Helge Schneider, Dieter Nuhr. Doch Heppel und Ettlich hatten den richtigen Riecher und gaben ihnen eine Chance. »Wir waren immer schon für die Kleinkünstler. Es muss Orte geben, an denen sie unterstützt werden, an denen sie auftreten können, vor allem heute«, sagt Ettlich. Mehr noch als früher sei es schwer für Künstler, sich durchzubeißen. Besonders ärgerlich sei, dass es »Alleinherrscher« gebe. »Das sollten sich die Künstler nicht gefallen lassen, die sollten auf die Straße gehen«, sagt Ettlich.

Der alte Revoluzzergeist, leider, der sei in Schwabing kaum mehr zu finden. »Aber man sollte nicht dauernd jammern, früher, ja, da war alles besser«, sagt Ettlich. Stimmt ja auch nicht immer. »Schwabing hat noch immer diesen unwiderstehlichen Flair, den findest du anderswo in München nicht.« Schwabing sei eine Art »Mini-Berlin«. Alles, was es in der Hauptstadt in großer Entfernung gebe, finde man hier komprimiert. Im Grunde habe er keine andere Wahl, er müsse einfach hier leben. Und so ist auch logisch dass das Heppel & Ettlich nach seinem Ende an der Kaiserstraße im Juli 2009 in Altschwabing, an der Feilitzschstraße 12, über dem Drugstore seine neue Heimat gefunden hat.

Im aktuellen Programm treten unter anderem auf das Schauspiel München, Martin Herrmann, Teatro Subversum und die Lästerschwästern. Auch die Kinder dürfen sich freuen, Ettlich liegt das Kiko, die Kinovorstellungen für Kinder sehr am Herzen. Zum 50. Jubiläum von »Pumuckl« ist es Ettlich gelungen, den Kobold ins Heppel & Ettlich zu bekommen. Zwei Monate lang werden die beliebtesten Folgen aus der urbayerischen Serie gezeigt, eine Sondervorstellung mit der »Pumuckl«- Illustratorin Barbara von Johnson gibt es am Sonntag, 17. Juni, um 11 Uhr. »Ich wünsche Dir auch für die kommenden Jahre weiterhin die Energie, die Phantasie, die Hartnäckigkeit, die Portion Humor und Lebensfreude, die das Gesamtkunstwerk Wolfgang Ettlich ausmachen«, formulierte es Christian Ude in einer Rede zu Wolle Ettlichs 65. Geburtstag.

»Entdecken – ich kann nicht anders«

Dass diese Wünsche in Erfüllung gehen – keine Frage. »Entdecken, machen, vernetzen, das ist mein Leben, ich kann gar nicht anders«, so Ettlich. Ideen spuken ständig in seinem Kopf herum. Eine Currywurstbude beispielsweise, noch so ein Projekt, die wäre schon noch was. »Weil’s wieder ein bisschen mehr Berlin in Schwabing wäre.« Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 12.06.2012
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