Handarbeits-Boom in München: Von sozial bis kreativ

München · Bestrickend und beglückend

„Die Rausfrauen“ bei der Arbeit. Foto: Privat

„Die Rausfrauen“ bei der Arbeit. Foto: Privat

München · Lang hat es gedauert, bis das Trauma des schulischen Handarbeitsunterrichts (es gab Zeiten, da war das noch Pflicht) überwunden war. Nichts wollte man mehr wissen von Stricknadeln und dem Kampf mit der Nähmaschine. Heute versuchen viele junge Münchner Frauen (und so mancher Mann) ihre verschüttet geglaubten Fertigkeiten wiederzubeleben oder neu zu lernen. Es wird wieder gestrickt, gehäkelt und genäht in der Stadt.

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Um was Eigenes zu gestalten, was nicht jeder hat. Um Geld zu sparen. Um anderen eine Freude zu machen und soziale Projekte zu unterstützen – wie heute zum „Tag der Handarbeit“ diesen Samstag, 9. Juni (mehr dazu auf Seite 2). Oder um das Großstadtgrau zu verschönern. Seit genau einem Jahr sorgen die Strick- und Häkelobjekte (wie kürzlich etwa ein blumiges Sitzkissen an der Bushaltestelle am Haus der Kunst oder ein bunter Strickschlauch an einem Schildermast am Goetheplatz) von den „Rausfrauen“, „Sissi“ und „Hermine“, für charmante Verwirrung in München – .und „mittlerweile auch in anderen Städten wie Berlin, Hannover, Stockholm und New York“, erzählt „Sissi“. Hinter dem Decknamen verbergen sich zwei Münchner Studentinnen, davon eine aus Schwabing, in den Zwanzigern. „Wir planen keine großen Projekte“, erklären sie ihre Arbeit, „sondern gehen mit offenen Augen durch die Stadt und schauen, was uns anmacht.“

Meist am frühen Morgen vor dem Berufsverkehr platzieren die beiden ihre Objekte, fotografieren sie für ihren Blog (www.rausfrauen.de) „und überlassen sie ihrem Schicksal. Ziel: „Die Bestrickung (nicht nur) des öffentlichen Raumes ist unser Mittel, unsere Mitmenschen kurzfristig zu beglücken, ihnen ein Lächeln zu entlocken, sie zu verzaubern. Unsere Arbeit greift dabei nicht in die bestehende Substanz ein, sondern bereichert, nutzt Leerstellen und Freiräume.“ Der Name des Duos ist abgeleitet von Hausfrau: Die beiden wollen mit scheinbar typisch hausfraulichen Arbeiten in der Öffentlichkeit eine neue Wertschätzung erzeugen. Jede Masche handgestrickt, jedes Deckchen selbst genäht, für eine Lebensdauer von meist wenigen Tagen oder sogar Stunden – das verwirre selbst Freunde und Bekannte, die sagen. „So viel Arbeit macht ihr euch.“ Das sei aber nichts im Vergleich „zu unseren Omas“, erklären die beiden, „die tagtäglich gekocht, geputzt und gewaschen haben, ohne dass irgendwas Sichtbares davon bleibt.“

Doch die Omas von heute sind auch nicht mehr das, was sie mal waren: „Stricken hält jung“, davon ist Beate Krasser überzeugt, Leiterin der Seniorenbegegnungsstätte der Diakonie Hasenbergl. Dort stricken seit 2004 20 Damen zwischen Mitte 69 und 87 Jahren Socken, Babysachen oder Bären und unterstützen auf diese Weise zwölf Kindereinrichtungen, meist im Münchner Norden. Allein von März 2011 bis 2012 betrug der Erlös 9.000 Euro, erzählt Krasser. „Im Mai wurde der insgesamt 33.000. Euro an das Förderzentrum Rothpletzschule Am Hart übergeben, im Juli geht der 34.000. an das Förderzentrum Paulkeschule im Hasenbergl.“ Die Strickerinnen treffen sich jeden Dienstag im Seniorenzentrum in der Schleißheimer Straße 452, dort wird geratscht, Geburtstag gefeiert und die neuesten Sachen vorgestellt, denn gestrickt wird vor allem auch zu Hause. Kaufen kann man die Sachen bei Basaren, etwa bei der Stadtteilwoche Harthof-Nordhaide-Feldmoching-Hasenbergl vom 29. Juni bis 6. Juli. Eine echte Erfolgsgeschichte ist das Projekt für Krasser, „weil es so sinnvoll ist und so viel zurückkommt“. Mindestens so wichtig wie der soziale Aspekt „ist die Gemeinschaft, das Miteinander“. So manche, die etwa zunächst nach dem Tod ihres Mannes traurig war, ist hier „richtig aufgeblüht“, hat Krasser erlebt, schick und selbstbewusst geworden durch das Projekt, denn auch die ganze Organisiation und wer wie viel an Spenden bekommt, übernehmen die Damen selbst.

Wer Wolle spenden oder mitstricken möchte: Weitere Infos gibt es bei Beate Krasser unter Tel. 31 28 75 97. Handarbeit für den guten Zweck ist auch das Motto des „Tages der Handarbeit“ diesen Samstag, 9. Juni: Die „Initiative Handarbeit“ und der Bundesverband Deutsche Tafeln rufen alle Kreativen auf, modische Kleidung und Accessoires zu nähen und zu stricken, der Erlös geht an die bundesweit über 900 Tafeln. Die Münchner Tafeln etwa versorgen derzeit über 85 soziale Einrichtungen, 24 Verteilstationen wöchentlich und 18.000 Bedürftige mit gespendeten frischen Lebensmitteln. Auch die Münchner Karstadt-Häuser (Neuhauser Straße 18, Bahnhofsplatz, Am Nordbad, Leopoldstraße 82 und OEZ) unterstützen die Aktion: Alle Handarbeiten können bis zum 30. Juli 2012 in der Kurzwarenabteilung der jeweiligen Filialen abgegeben werden, die Teile gehen dann an die örtliche Tafel.

Kleider nähen oder Baumhaus bauen: Wo kommt bei Ihnen der Selbermacher durch? Sagen Sie es uns auf unserer Abstimmung unter www.samstagsblatt.de!

Von Michaela Schmid

Artikel vom 06.06.2012
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