Jeder für jedes Beet: Schwabinger »ackern« gemeinsam

Schwabing · Volle Kraft Bio

Unter anderem Schwabinger wie Simon Ford (5. v. r.) beackern im Münchner Westen gemeinsam 36 Biogemüsebeete. Foto: Sylvie-Sophie Schindler

Unter anderem Schwabinger wie Simon Ford (5. v. r.) beackern im Münchner Westen gemeinsam 36 Biogemüsebeete. Foto: Sylvie-Sophie Schindler

Schwabing · Wie viele Schwabinger haben wohl einen grünen Daumen? Noch gibt es keine Studien dazu, fest steht aber: Auch im Stadtviertel ist die Lust aufs Garteln groß. Doch wo sich botanisch so richtig austoben? Ein Mini-Gärtchen am Balkon, hübsch, aber manchmal reicht das einfach nicht. Eine gute Handvoll Schwabinger beispielsweise geht andere Wege.

Sie haben sich mit weiteren Münchnern zusammengetan und bewirtschaften 36 Biogemüsebeete auf einer 1,2 Hektar großen Landfläche im Münchner Westen. Zucchini, Lauch, Kohlrabi, Fenchel – plus Gemeinschaft, das ist die Idee. »Wozu Einzelkämpfer sein, wenn sich in einer Gruppe viel mehr auf die Beine stellen lässt«, sagt der Schwabinger Initiator Simon Ford. Der Wunsch, sich in einer Gruppe zu organisieren, gelebte Solidarität, ließ Simon Ford lange nicht los. Und weil er bereits als Schrebergärtner aktiv ist, lag es nahe, ein Projekt zu entwickeln, das mit dem Anbau von Obst und Gemüse zu tun hat. In einer Vollmondnacht schrieb er an dem Konzept. Dann schickte er an seinen langjährigen Freund Robert Schimkat eine SMS: »Wollen wir uns mal zusammensetzen, ich habe da eine Idee.« Von Simon Fords Begeisterung angesteckt, machte Robert Schimkat das entscheidende Angebot: »Okay, dann werfe ich mein vorbereitetes Land in die Runde.« Bereits seit 2006 hat der Diplom-Geograf und selbstständige Landschaftsgärtner von der Stadt München ein Lößlehmboden-Areal zur Verfügung gestellt bekommen – allerdings nur, weil er besonders hartnäckig geblieben ist.

»Flächen werden einem hier ja nicht gerade nachgeschmissen«, sagt Schimkat. Und Ford: »Ein solches Grundstück würde man insbesondere in Schwabing vergeblich suchen. Das gibt es einfach nicht.« Nun nehmen die Schwabinger gut eine halbe Stunde Anfahrtszeit in Kauf, um in den Westen zu kommen, von der S-Bahn-Station sind es dann noch knapp 10 Minuten Fußweg. Die Gärtnergemeinschaft besteht aus 20 Erwachsenen und 15 Kindern. Und die neu gegründete Bio-Familie will noch weiter wachsen. »Jeder, der Interesse hat, ist herzlich willkommen«, sagt Ford. Ob Anfänger, ob Fortgeschrittener, entscheidend ist die »Lust, dabei zu sein«. Zeitaufwand pro Woche: etwa sechs Stunden. Die Kosten will die Gruppe so niedrig wie möglich halten. Billiger als jeder Schrebergarten ist es allemal: Jeder zahlt 200 Euro einmalig, quasi als Eintrittsgebühr, dazu kommen jährliche Kosten, ebenfalls in Höhe von 200 Euro. Dass jeder in seiner eigenen Parzelle vor sich hinwurschtelt, gibt es nicht. Alle sind für alle Beete verantwortlich. Eine bahnbrechende Erfindung ist das weiß Gott nicht, und doch, unter Münchens urbanen Gärtnern hat diese Herangehensweise noch kaum Anhänger. »Und das ist wirklich erstaunlich«, sagt Ford. Denn im Grunde sei es effizienter, dass beispielsweise einer 30 Salatköpfe erntet, als dass zehn Leute zu ihren einzelnen Beeten fahren und jeweils drei Salatköpfe ernten. »Oft ist ein Einzelner ohnehin überfordert mit allen Arbeiten, die anfallen, besonders im Sommer.«

Nur im Team wird’s was

Wer im Team arbeite, der müsse sich natürlich auf die anderen verlassen können, es brauche genaue Absprachen und Pläne, etwa, wann ist wer auf dem Acker und was ist dann zu tun. Man organisiert sich über das Internet, trifft sich einmal pro Monat in Schwabing, lernt sich weiter kennen, arbeitet Pläne aus, es gibt Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen wie Infrastruktur und Vernetzung. »Die volle Kraft ist nur da, wenn alle zusammen etwas tun«, so Mitgärtnerin Danielle Armstrong. »Leider sind wir seit der Schule darauf trainiert, unsere Ellbogen gegeneinander einzusetzen. Doch Konkurrenzdenken gegeneinander statt miteinander bringt nicht weiter. Deshalb setzen wir auf die Gemeinschaft.« Wenn Großstädter gemeinschaftlich garteln, hat das auch einen Namen. Beim so genannten »Urban Gardening« tun sich Menschen aller Couleur zusammen, Junge und Alte, Einheimische und Migranten, Idealisten und Politikverdrossene, Künstler und Manager. Die Zahlen dazu: Laut einer Studie von Ella von der Haide, Ingenieurin der Stadt- und Regionalplanung, gibt es im Münchner Stadtgebiet über 800 Gartenanlagen, in denen insgesamt rund 50.000 Menschen aktiv sind, davon 15.000 in Gemeinschaftsgärten. Beispiele sind unter anderem der Generationengarten am Petuelpark, ein 3.300 Quadratmeter großes, bewirtschaftetes Areal nahe Leonrodplatz und ein interkultureller Gemeinschaftsgarten mit etwa 50 Pächtern am Oskar-Maria-Graf-Ring – der übrigens schon seit dem Jahr 1991 existiert. Das Ackern auf Gemeinschaftsgrün sorgt für eine Art Renaissance der Großfamilienstruktur. Zurück zu den Wurzeln – auch die Ziele der Neugärtner sind nicht auf postmodernes »höher, weiter, schneller« gerichtet. Man will Konsequenzen aus der Wirtschaftskrise ziehen. Nachhaltigkeit, Solidarität, Fairness sind zentrale Prinzipien.

Sehnsucht nach einerbesseren Welt

Wer es blumiger mag, könnte sagen, hier sehnen sich Menschen nach einer besseren Welt. Und in der geht es unter anderem darum, unabhängiger von einer globalisierten und industrialisierten Lebensmittelproduktion zu werden. Simon Ford formuliert es so: »Wir ernten, was es gibt und nicht, was sich finanziell lohnt. Zudem entziehen wir einen wichtigen Lebensbereich der Spekulations- und Profitsphäre und wirken damit der vorherrschenden Wirtschaftslogik mit ihrem Wachstumszwang entgegen.« Egal, ob andere ausrufen, um Gottes Willen, was machen die denn da, so geht es nicht, Gemüse müsse man effizient produzieren. »Wir sind nicht weltfremd und auch keine Fanatiker«, sagt Ford. »Wir machen eigentlich nichts anderes, als einer Tradition zu folgen, Ackerbau haben die Menschen irgendwie immer schon betrieben.« Und besonders in Krisenzeiten kann Selbstversorgung alles andere als schaden. »Etwas unabhängiger sein, fühlt sich gut an und das nicht alles alleine zu tun, noch viel besser«, sagt Teilnehmerin Christiane Siedenburg. Und Michael Seyfried fügt hinzu: »Das Projekt gibt Gelegenheit, Solidarität zu üben, was notwendig sein wird, wenn die große Krise kommt, von der so viele sprechen. Vielleicht kommt die Krise auch nicht, auch gut, dann haben wir trotzdem schon mal geübt.« Weitere Informationen zum Projekt gibt es bei Simon Ford unter per E-Mail unter wurzelnziehen@riseup.net. Eine interaktive Karte aller Münchner Gärten hat das Referat für Gesundheit und Umwelt der Stadt veröffentlicht unter http://maps.muenchen.de/rgu/urbane_gaerten. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 29.05.2012
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