Kunst verbindet Menschen mit und ohne Behinderung

Harlaching/Giesing · Beifall statt Mitleid

Die »Unverschämte Wirtshausmusik« tritt am 23. Mai bei der SWW auf. Die Mitarbeiter der SWW produzieren hübsche Keramik in ihren Werkstätten	Fotos: Dieter Schöpf/VA

Die »Unverschämte Wirtshausmusik« tritt am 23. Mai bei der SWW auf. Die Mitarbeiter der SWW produzieren hübsche Keramik in ihren Werkstätten Fotos: Dieter Schöpf/VA

Harlaching/Giesing · »Alles, nur kein Mitleid«, lautet das Motto der Kulturschaffenden der Südbayerischen Wohn- und Werkstätten für Blinde und Sehbehinderte im Roßtalerweg 2 in Giesing/Harlaching.

Seit 20 Jahren leben und arbeiten dort 115 blinde und sehbehinderte Erwachsene, die zumeist auch noch weitere Behinderungen haben. In der Werkstatt werden aber nicht nur Waren für andere Firmen verpackt und kuvertiert, Akten und Datenträger vernichtet, sondern auch Kunst und Kunsthandwerk produziert. »Die Dinge, die wir herstellen, sollen ästhetisch ansprechend und hochwertig sein. Wir wollen nicht, dass jemand unsere Produkte kauft, weil er Mitleid hat, sondern weil unsere Sachen schön und funktional sind«, betont die Leiterin der Werkstatt Kultur, Kunigunde Frey.

Unter fachmännischer Anleitung werden beispielsweise Artikel wie Obstschalen oder Gartenfiguren aus Ton gefertigt ebenso wie filigrane Holzspielfiguren für Erwachse erstellt, Teppiche gewebt und sogar Bilder gemalt. Bewundern und kaufen kann man die Exponate im Werkstatt-Shop, der von Montag bis Donnerstag von 8.30 bis 16.30 Uhr und freitags von 8.30 bis 13.00 Uhr geöffnet hat. Seit zehn Jahren geht man in den SWW aber noch einen Schritt weiter. Kunst genießen und Kunst schaffen hört seit 2002 nicht mehr an der Werkstatttüre auf. Regelmäßig finden in der Mensa der SWW Konzerte und Theateraufführungen statt, Platz ist dort für rund 100 Personen. »Alleine könnten unsere Mitarbeiter kein Konzert oder Theater besuchen, hier können Sie Kunst erleben, die auch anderswo auf der Bühne gezeigt wird«, erklärt Kunigunde Frey weiter.

Dass die Aufführungen allesamt von hochwertiger Natur sind, darauf legen die Organisatoren Frey und Michael Lohner großen Wert. Aber nicht nur für die Bewohner stehen diese Kulturereignisse offen, sondern auch für Besucher von Außerhalb. Das Programm der SWW kann sich dabei durchaus sehen lassen: Am 25. April kommt beispielsweise Annamirl Spies mit ihrem Stück »O MArianne hilf!« (19.30 Uhr, 14 Euro Eintritt), am 23. Mai wird ein Maibockfest mit der »Unverschämten Wirtshausmusik« mit Otto Göttler und Konstanze Kraus gefeiert (19.30 Uhr, 14 Euro Eintritt) und am 13. Juni wird der Anfang des Jahres begonnene Mozart-zyklus fortgesetzt (19.30 Uhr, 14 Euro Eintritt).

»Kunst und Kultur erweitern den Horizont und bringen die Leute zusammen«, betont Frey. So können und sollen beim gemeinsamen Konzertgenuss von Behinderten und Nicht-Behinderten Kontakte entstehen, Barrieren ab- und Brücken zwischen den Menschen aufgebaut werden, wünscht sich die engagierte Frau. »In den Pausen hat man immer gleich einen Aufhänger für ein Gespräch«, ist sich Frey sicher. Auch die Musiker und Schauspieler schätzen diese besondere Mischung und die intime Atmosphäre der Werkstatt-Kultur-Abende. »Wir können nicht so hohe Gagen zahlen wie das sonst üblich ist, trotzdem wollen viele Künstler wieder kommen und bei uns spielen«, verrät Frey. »Die Begeisterung unserer Mitarbeiter ist ansteckend, Mozart ist eben für alle gleichermaßen wunderbar, egal ob behindert oder nicht-behindert«, so Frey.

Vier Mal im Jahr gibt es zudem ein Konzert für die Schwerstbehinderten unter den Bewohnern, berichtet sie weiter. In Sitzsäcke gebettet dürfen sie sich an schöner Musik erfreuen, ein echter Höhepunkt im Jahr für diese Menschen, weiß Frey zu berichten. Aber auch damit war der Schaffensdrang von Kunigunde Frey und Michael Lohner noch nicht befriedigt. Warum immer nur Kunst genießen, wenn man sie auch selber machen kann, fragten sich die beiden Kulturliebhaber. So wurde kurzerhand die Theatergruppe »Die Blindgänger« ins Leben gerufen, die gemeinsam mit der Regisseurin Sacha Abena Stücke auf die Bühne bringt. Diese Adaptionen spielen sie aber nicht nur in ihrer Werkstatt Kultur, sondern gehen damit auf öffentliche Bühnen wie die Black Box im Gasteig, die Schauburg oder jetzt aktuell ins Volkstheater in München.

Dort zeigen sie am 21./22. Mai ihr Stück »Wildwechsel«. In diesem Stück spielen »Die Blindgänger« eine Adaption von Tschechows »Onkel Wanja«. Dabei stellen sie die Konflikte und Beziehungen jedoch auf ihre eigene Weise dar. »Unsere Schauspieler lernen durch ihre Theaterarbeit Selbstbewusstsein, wachsen über sich hinaus. Dafür arbeiten sie hart, denn sie wollen nicht für einen Behinderten gut sein, sondern einfach gut«, betont Frey. Karten (10,70 Euro) bekommt man an allen bekannten Ticketvorverkaufsstellen. »Die Zuschauer erwartet ein besonderes Theatererlebnis ästhetische Vielseitigkeit, eben alles, nur keine Mitleidsnummer«, so Frey. H. Woschée

Artikel vom 17.04.2012
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