Gleich einem Passionsweg: gesticktem Band folgen

Zentrum · »jetzt – der zeit entfallen«

Zentrum · Nadel und Faden sind die Werkzeuge von Sybille Loew. Für die Installation »jetzt – der zeit entfallen« hat die Münchner Künstlerin ein Jahr lang eine 112 Meter lange medizinische Mullbinde bestickt.

Ein krakeliges »jetzt«

In krakeligen Buchstaben ist der Begriff »jetzt« zu lesen. Das beleuchtete Band ist ab Donnerstag, 19. April, bis Sonntag, 13. Mai, in der evangelischen St. Lukaskirche am Mariannenplatz zu sehen. »Sticken ist ein meditativer Akt. Ich habe mir bei der Arbeit sozusagen selber über die Schulter geschaut«, erklärt Loew. Ihre Erfahrungen mit der Handwerkstätigkeit tauchen auch als Textfragmente auf dem Band auf: Ich nehme die kalte metallene Nadel in die Hand, fädle den Faden ein und sticke jetzt jetzt jetzt nur gestickt, aber nicht im Jetzt gewesen vielmehr nicht endende Gedankenströme jetzt jetzt jetzt...« heißt es etwa. Zu finden sind aber auch persönliche Begriffe wie Widerstand, Angst, tiefe Traurigkeit, Einsamkeit...

Sybille Loew spielt in ihren Arbeiten gerne mit dem altertümlichen und biederen Charakter der Stickereien. Mal stickt sie Pin-up-Mädchen auf biedere Baumwolltücher. Oder aber sie arbeitet mit der »gefühlten« Zeit, die das Sticken benötigt. Für die Installation »stiller abtrag« hat sie Stoffschilder mit den Namen von 298 Münchnern bestickt, die 2005 ohne Angehörige starben und anonym beerdigt wurden.

Sticken – ein mühsamer Prozess

»Denk dir einen Teppich aus Wasser. Und als die Stickerei dieses Teppichs die Geschichte der Menschen« schrieb einst der deutsche Schriftsteller von Christian Morgenstern. Die Installation von Sybille Loew ist ein Memento Mori – der mühsame Prozess des Stickens, die Vergänglichkeit des Tuns sind augenfällig. Wer dem langen Band durch den Kirchenraum folgt, kann dem inneren Weg der Künstlerin gleich einem Passionsweg folgen.

Eröffnung am 19. April

Die Ausstellung wird am Donnerstag, 19. April um 19.30 Uhr in der Lukaskirche am Mariannenplatz eröffnet. Einführung: Pfarrerin Beate Frankenberger. Musik: Kirchenmusikdirektor Gerd Kötter. Die Künstlerin ist anwesend. Die Schau ist von 19. April bis 13. Mai täglich von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Die Installation ist ausserdem zu sehen: jeden Donnerstag ab 21.30 Uhr vor der Nachtkirche um 22 Uhr, beim Orgelkonzert am 22. April, 20 Uhr (Eintritt 10 Euro), bei der Langen Nacht der Musik am 28. April, von 20 bis 1 Uhr (Eintritt 15 Euro), beim Konzert des ensemble lukas »In Between“ am 5. Mai, 20 Uhr (Eintritt 15 Euro).

Artikel vom 16.03.2012
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