Im Stadtarchiv stellen Migranten persönliche Gegenstände aus

Schwabing · Ins »gelobte Land«

Eleni Tsakmaki, hier mit Michael Stephan, stellt persönliche Gegenstände in  Sachen Migration im Stadtarchiv in Schwabing aus.	Foto: Sybille Föll

Eleni Tsakmaki, hier mit Michael Stephan, stellt persönliche Gegenstände in Sachen Migration im Stadtarchiv in Schwabing aus. Foto: Sybille Föll

Schwabing · Sie kamen nach Deutschland und träumten davon, sich eine Existenz aufzubauen und wohlhabend in die Heimat zurückzukehren, sich dort ein eigenes Häuschen zu bauen und glücklich zu sein.

Doch die meisten blieben. Die Träume auch. »Irgendwann merkst du, dass du alt geworden bist, und dass es kein Zurück mehr gibt«, sagt Eleni Tsakmaki und ihre Augen blicken ein wenig traurig. Die heute 74-Jährige machte sich vor rund 50 Jahren zusammen mit ihrem Mann Emanuel von ihrer Heimat Griechenland aus auf die Reise ins »gelobte Land« und gehört heute zu den 36 Prozent Münchnern »mit Migrationshintergrund«, wie es amtlich heißt. Ihr Schicksal verarbeitete sie auf kreative Art: 1992 begann sie ihr erstes Buch zu schreiben, eine Erinnerung an ihre Kindheit, in der sie als eines von fünf Geschwistern zur Adoption freigegeben wurde, weil das Brot nicht für alle reichte. Es folgten weitere Bücher wie »Lebenswege – Zeugnisse griechischer Einwanderer in Deutschland« oder »Die ewige Suche nach der Heimat«, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden, sowie zahlreiche Theaterstücke.

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Anfang vergangenen Jahres gründete sie zusammen mit anderen Migranten das Bayerische Institut für Migration (BIM), das nun einen Vertrag mit dem Münchner Stadtarchiv in Schwabing abgeschlossen hat: In enger Zusammenarbeit soll ein »Migrationsarchiv« entstehen, in dem persönliche Papiere, Fotos und anderes Material das Leben dieser Menschen für nachfolgende Generationen dokumentieren sollen. »Bei uns lagern viele persönliche Dokumente, von prominenten Münchnern ebenso wie von unbekannten, aber die von Migranten haben uns bisher gefehlt«, erklärt Michael Stephan, Leiter des Stadtarchivs. Somit rannte das BIM mit seinem Wunsch nach einem eigenen Migrationsarchiv offene Türen bei Stephan ein. Zumal der Ausländerbeirat der Stadt München bereits im November 2009 beschlossen hatte, ein Konzept zur systematischen Sammlung und Archivierung von Materialien zur Münchner Migrationsgeschichte zu erarbeiten und daraufhin die Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen – Rosa Liste im Dezember 2009 einen Antrag auf den Aufbau eines solchen Archivs stellte.

Im Juli 2010 schließlich veranstaltete das Stadtarchiv München ein Kolloquium unter dem Titel »Migranten in München. Archivische Überlieferung und Dokumentation«, um mit Fachleuten Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen einer Dokumentationsstelle zu diskutieren. »In der Praxis sieht es nun so aus, dass das BIM die Materialien sammelt, ordnet, beschriftet, digital abspeichert und uns schließlich zur Aufbewahrung überlässt«, erklärt Stephan. Dazu werde kein eigener Raum im Stadtarchiv eingerichtet, »sondern die Dokumente werden in den übrigen Bestand integriert«, so der Leiter. Am vergangenen Freitag brachte Eleni Tsakmaki als eine der ersten einen grauen Karton zum BIM. »Da drin ist mein Leben«, sagte sie lächelnd. Auf einem kleinen Tablett aus gelochtem Metall liegen ihre Bücher, vier Reisepässe voll mit Stempeln, und jede Menge Fotos.

Ein Foto zeigt sie mit ihrem Mann im Juni 1961, als sie aus dem Zug steigen und erstmals deutschen Boden betreten. »Wir haben damals Arbeit in einer Metall verarbeitenden Fabrik in der Nähe von Pforzheim gefunden«, erzählt sie – gegen einen hohen Preis: Seine Kinder, damals vier und zweieinhalb Jahre alt, musste das Paar bei den Großeltern zurücklassen. »Nach 14 Monaten habe ich sie das erste Mal wiedergesehen, als wir im Urlaub nach Hause gefahren sind«, berichtet Tsakmaki. Erst vier Jahre später konnten sie die Kinder nach Deutschland holen. »Es war sehr schwer am Anfang. Wir fanden keine Wohnung, konnten kein Deutsch.« Dann kam das dritte Kind und die Familie beschloss, in die Heimat zurückzukehren. Doch als es dort immer noch keine Arbeit gab, gingen sie wieder nach Deutschland, diesmal nach München. »Ich fühle mich zwar immer noch nicht deutsch, aber ich gehöre hierher«, sagt sie. Ihr Sohn ist mit einer Deutschen verheiratet und hat mittlerweile selbst Kinder. »Hier sind unsere Enkel, Freunde, unser ganzes gewohntes Umfeld«.

Hierzu zählt auch der Vorsitzende des BIM, Zeki Genc. »Mein Vater ging nach Deutschland, um das Geld für einen neuen Traktor zu verdienen«, erzählt der Endvierziger, der sich trotz seiner türkischen Herkunft als Bayer bezeichnet. »Ich kam mit elf Jahren nach Deutschland und ich lebe gerne hier«, betont er. Neben der Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv plant er eine weitere Kooperation mit dem Münchner Stadtmuseum, in dem persönliche Sachen der Migranten ausgestellt werden sollen – darunter auch das Tablett von Tsakmakis Chef. Außerdem möchte er, dass jeder, der seine Sachen abgibt, auch vor laufender Kamera seine Geschichte erzählt. »Das ist toll für die Enkel und Urenkel.« Die Filme sollen ebenfalls ins »Migrationsarchiv« wandern.

Wer sich die künftige Sammelstätte ansehen möchte, hat hierzu am Samstag, 3. März, Gelegenheit: Am »Tag der Archive« ist das Münchner Stadtarchiv in der Winzererstraße 68 von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Allerdings liegt der Schwerpunkt nicht bei der Geschichte der Migranten, sondern auf dem Historischen Verein von Oberbayern, der in diesem Jahr 175 Jahre alt wird. Sybille Föll

Artikel vom 29.02.2012
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