„Da schau her!“ Albrecht Ackerland über den tragischen Fasching

München · Thema: Fasching

München · Jetzt ist wieder diese Zeit angebrochen, die Völkerforscher in ein paar tausend Jahren mit besonderer Aufmerksamkeit bearbeiten werden. Um ihre Arbeit dereinst zu erleichtern, möchte ich hier in aller Bescheidenheit ein wenig beitragen.

Denn den Fasching zu verstehen, das ist schon ein ganz besonders kompliziertes Unterfangen. Ich, liebe Forscher aus dem Jahr 4069, wundere mich schon mein ganzes erwachsenes Leben lang, was das denn nun soll, Fasching. Ich gehöre zur Spezies des Faschingsmuffels, und hier zur Unterart der Katastrophenbesucher. Als solcher fühle ich mich vom Fasching unterhalten, obgleich ein Hüterl, eine rote Gumminase oder Hasenohren meinen Humor noch nicht einmal streifen, so sehr geht mir die Ausgelassenheit am Mittelscheitel vorbei.

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Als Kind, ach als Kind, da ist der Fasching eine Gaudi. Für die Kinder ist der Fasching das höchste, weil er mit dem Verstand nicht zu greifen ist. Das schätzen Kinder, weil immer alles von der Vernunft geleitet sein muss. Nur der Fasching bringt hier eine Abwechslung. Da dürfen dann sechsjährige Buben mit Revolvern hantieren und Mordgelüste ausleben, da dürfen sich Mädchen als Indianerin oder Prinzessin geben, und das in einem Aufzug, der jeder Ureinwohnerin Amerikas oder echten Töchtern jahrhundertealter Königshäuser Tränen der Verständnislosigkeit in die Augen triebe. Aber die Mädchen haben in ihrer Verkleidung Hochgefühle, und das ist schön.

Auch in der Boazn verleiht eine Verkleidung dem klassischen Boazngast ein Hochgefühl. Diesem jährlichen Schauspiel beiwohnen zu können ist der einzige Grund, warum ich mich als Muffel in der Faschingszeit überhaupt vor die Türe traue. Ich gehe auf keinen Ball, zu keinem Umzug, auf den Viktualienmarkt an Kehraus jedes Jahr nur ganz ausnahmsweise und betäubt von Birnenschnaps. Aber ein einfacher Boaznbesuch in der Saison geht auch ohne jeden Alkohol. Der Rausch stellt sich schon vom Zuschauen und -hören ein.

Dort tritt dann einer wie der Beppi, der unterm Jahr als Lichtgestalt der Münchner Grantelei gelten darf, mit bunten Hosenträgern auf und schaut dabei durch eine übergroße Brille, an die eine warzige Gumminase geklebt ist, die sehr erfolgreich seine erdbeerartig vom jahrelangen Spiritusgenuss gegerbte echte Nase überdeckt. Neben ihm sitzt dann die Kassiererin vom Discounter, die vergangenes Jahr ihren Mann und gleich noch ihren Hund verloren hat, und die nun ein Hüterl auf ihrem Kopf sitzen hat, ein Tirolerhüterl, grün und so groß wie ein Fünfmarkstück sitzt es per Gummi fixiert schief auf ihrem Kopf.

Beide, der Beppi und die Kassiererin setzen sich dann zusammen, und unterhalten sich den ganzen Abend über die Krankheit von der Frau Ringeis und den Fahrradunfall vom Schorschi, der in die Berufsunfähigkeit schickte. So viel Spaß muss sein, sagen sich dann die beiden, der Beppi und die Kassiererin, und bestellen noch einen Doppelten. Und über allem hängt lustig eine bunte Girlande. So mag ich unseren Fasching.

Artikel vom 02.02.2012
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