Entwicklungsarbeit: Schwabinger Studentin in Südamerika

Schwabing · Nicht die Welt retten

Constanze Gohlke (gr. Foto, 3. v. l., vorne) hat in Südamerika Entwicklungsarbeit geleistet. 	Foto: privat

Constanze Gohlke (gr. Foto, 3. v. l., vorne) hat in Südamerika Entwicklungsarbeit geleistet. Foto: privat

Schwabing · Nein, sie glaubt nicht, dass sie die Welt retten kann. »Aber ich will auch nicht einfach meine Hände in den Schoß legen und zuschauen, wie unsere wunderschöne und vielfältige Natur weiter zerstört wird«, sagt Constanze Gohlke. »Mir liegt unsere Erde viel zu sehr am Herzen.«

Deshalb zögerte die Schwabingerin keine Sekunde, als ihr angeboten wurde, in Südamerika Entwicklungsarbeit zu leisten. Ihr Projekt orientierte sich an ihrer Abschlussarbeit zum Studium aus dem Fachbereich Umweltingenieurwesen. Der Titel: »Biologische Abwasserreinigung mit Hilfe eines gepflanzten Bodenfilters.« Zehn Tage lang verbrachte die heute 24-Jährige im Regenwald, bei einem Naturvolk, einem Stamm mit 18 Familien, und brachte mit einer Studiengruppe ihr Vorhaben in Gang. Man machte sich täglich an die Arbeit, entnahm unter anderem Bodenproben, testete das Wasser auf chemische Bestandteile, maß das Gelände ab und die Hangneigung, um zu sehen, was vor Ort überhaupt möglich ist. In den Alltag wurden die Studenten sofort integriert, täglich kochten die Stammesmitglieder, meistens Huhn, Eier, Wurzelknollen, einmal auch Meerschweinchen. Man verständigte sich vor allem mit Gestik und Mimik. Gastfreundschaft und Herzlichkeit waren selbstverständlich. »Diese Erfahrung hat mich reicher gemacht«, so Gohlke. An ihren Ohren baumeln die Federn eines exotischen Vogels, ein Abschiedsgeschenk der Stammesmitglieder. »Da sind schnell Freundschaften entstanden, wir wurden sofort in die Familien aufgenommen«, erinnert sie sich. Und das sei sehr viel mehr als sie erwartet habe.

Ermöglicht hat dieses Projekt die Plattform Entwicklungszusammenarbeit der Technischen Universität München (TUM). Sie wurde im Jahr 2005 von der Fakultät für Bauingenieur- und Vermessungswesen initiiert. Ebenso wie Constanze Gohlke nutzten bisher insgesamt rund 60 Studenten ihre Chance, für ihre Abschlussarbeiten Entwicklungshilfe in Afrika und Südamerika zu leisten. »Wir möchten ebenfalls dazu beitragen, die Lebensumstände in Entwicklungsländern zu verbessern«, sagt Mitinitiator und wissenschaftlicher TU-Mitarbeiter Jörn von Grabe. »Insbesondere können wir viel Sachverstand bieten, der anderswo dringend gebraucht wird.« Die Bewerber sind unter anderem aus den Studiengängen Maschinenbau, Elektrotechnik und Vermessungswesen. Die Projekte betreffen vor allem Wasserversorgung, Elektrifizierung und Baukonstruk- tionen, wie beispielsweise ein Kindergarten oder eine Brücke, die ein abgeschiedenes Indianerdorf mit einer Landepiste verbinden soll.

»Das Vorhandensein einer funktionierenden baulichen Infrastruktur bildet einen wesentlichen ­Pfeiler unseres friedlichen Zusammenlebens. Fehlt es an Infrastruktur, so fehlt es auch an ausreichenden Versorgungs-, Kommunikations- und Entsorgungsmöglichkeiten, der Aufwand zur Bewältigung des täglichen Lebens steigt enorm«, erklärt von Grabe. Für Menschen aus Entwicklungsländern stelle es daher eine erhebliche Herausforderung dar, ihre essentiellen Bedürfnisse zu befriedigen. »Entscheidend ist, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben«, sagt Constanze Gohlke. Die Betroffenen sollen gehört, ihre Wünsche berücksichtigt werden. Auf keinen Fall dürfe Entwicklungshilfe von außen »draufgepfropft« werden. Nicht immer seien »westliche Ideen« der richtige Weg. Im Gegenteil. »Es geht vielmehr darum, die Stämme darin zu unterstützen, ihre Kultur zu bewahren und ihnen gleichzeitig zu helfen, ihr Leben möglichst gut zu leben«, sagt die engagierte Studentin. Man habe nicht das Recht, sich angesichts des technischen Fortschritts im Westen überheblich zu fühlen. Es gebe hier nicht nur eine Weiter- sondern gleichzeitig auch eine »Wegentwicklung«, so Gohlke. Von der Natur etwa sei man schon viel zu weit entfernt. »Doch genau hier können wir von den Naturvölkern lernen, die keine Medikamente haben, sondern sich durch Pilze, Pflanzen und Baumrinden heilen. Das ist wertvolles, Jahrhunderte altes Wissen.« Würde man den Stammesmitgliedern, bei denen sie gelebt hat, beispielsweise ein Pflaster bringen, wüssten die gar nichts damit anzufangen. »Die helfen sich auf ihre Weise und das gilt es zu respektieren.«

Die Abwasserentsorgung und die Wasserversorgung, die die Studiengruppe vorgefunden hatte, sei, wie die Studentin erzählt, sehr unzureichend gewesen. Viele Kinder würden beispielsweise Schmutzwasser trinken und statt auf die eingerichteten Komposttoiletten zu gehen, verrichteten sie ihre Notdurft im Garten und spielten mit ihren Exkrementen. »Es besteht extremer Handlungsbedarf. Wir haben erste Weichen gestellt, mehr ist in zehn Tagen auch nicht möglich, doch das weitere Vorgehen liegt nicht mehr in unserer Hand«, berichtet Gohlke. Zurück bleiben viele Erinnerungen, unter anderem an das Abschiedsfest, bei dem alle Tränen in den Augen hatten. Oder auch an die Fledermäuse, die die Studenten in den Schlaf gepfiffen haben. Oder an die vielen gefährlichen Spinnen, die eines Nachts sogar auf den Toiletten herumkrabbelten. »Da hatten wir die Wahl zwischen fetter Vogelspinne in der einen Toilette und Springspinne in der anderen«, erzählt Gohlke lachend.

In zwei Jahren hat die Schwabingerin ihren Master. Und wie geht es dann weiter? »Wenn ich frei und ungebunden bin, dann zieht es mich auf jeden Fall in ein Entwicklungsland.« Möglichst das größte Katastrophengebiet soll es dann sein, vermüllte Straßen, unhygienische Zustände. »Ich habe keine Angst, mir die Finger schmutzig zu machen«, sagt Gohlke. »Ich will einfach, dass sich die Natur wieder erholen kann. Der Zustand, in dem unser Planet ist, macht mich emotional richtig fertig. So schnell wirft mich nichts um, doch da bin ich unglaublich nah am Wasser gebaut.«

Weitere Informationen zum Thema gibt es im Internet unter www.ez.bv.tum.de oder unter der Telefonnummer 28 92 38 22.

Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 13.12.2011
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