38-mal zu früh versetzt? Auf den Spuren der Marienhof-Bäume

Zentrum · »Massaker an Natur«

So sind die Marienhof-Bäume in Allach untergebracht. Wolfgang Püschel hält es für eine »Katastrophe«, sollten noch mehr Bäume der Stammstrecke zum Opfer fallen. 	Foto: Baureferat/Sylvie-Sophie Schindler

So sind die Marienhof-Bäume in Allach untergebracht. Wolfgang Püschel hält es für eine »Katastrophe«, sollten noch mehr Bäume der Stammstrecke zum Opfer fallen. Foto: Baureferat/Sylvie-Sophie Schindler

Zentrum · Seit Monaten ist es vorbei mit der Idylle am Marienhof. Graue Grube statt grüner Oase. Wie lange noch soll das so bleiben? Eine Antwort auf diese Frage wird immer drängender, doch noch weiß keiner, wie es weitergehen soll.

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Die einen kämpfen, obwohl es momentan schlecht aussieht, um die Finanzierung der zweiten S-Bahn-Stammstrecke – deshalb schließlich wurde mit den archäologischen Vorausgrabungen überhaupt erst begonnen. Andere wünschen sich das Stückchen Innenstadt-Natur so schnell wie möglich wieder zurück. Dass Hecken weggeschnitten und insgesamt 38 Bäume verpflanzt wurden, lässt viele Naturschützer bis heute immer noch nicht kalt. »Was da passiert ist, ist ein unglaublicher Skandal«, empört sich beispielsweise der Politiker und Rechtsanwalt Bernhard Fricke. »Das war ein regelrechtes Massaker an der Natur. Bäume sind mehr als ein Stück Holz – das sollte endlich in die Köpfe rein.« Auch der Vorsitzende des Bezirksausschusses Altstadt-Lehel (BA 1), Wolfgang Püschel kritisiert das Vorgehen scharf. »Man ist viel zu leichtfertig gewesen. Obwohl es noch kein Ja zu den Olympischen Winterspielen 2018 gab, wurden die Bäume entfernt und mit dem Buddeln begonnen – viel zu früh«, sagt der BA-Chef. Dabei hatte es im Stadtratsbeschluss im April noch geheißen, dass vor der Entscheidung über die Winterspiele möglichst wenige Bäume verpflanzt werden würden. »Es ist nicht nachvollziehbar, warum man sich nicht daran gehalten hat.

Die 38 chinesischen Schnurbäume, benannt nach ihren Samen, die wie an einer Perlenschnur aufgereiht sind, wurden inzwischen in einer städtischen Baumschule in Allach untergebracht. »Die Bäume werden an ihrem jetzigen Standort durch das Baureferat fachgerecht versorgt und entwickelt. Sie haben nach unserer momentanen Beurteilung den Umzug bisher gut überstanden«, sagt Nina Lindinger, Pressesprecherin des Baureferats. Ob das allerdings stimmt, kann nicht überprüft werden. »Das Betriebsgelände ist nicht frei zugänglich, Mitarbeiter des Gartenbaus müssten für Fotoaufnahmen extra vor Ort fahren. Organisatorisch wäre es für uns also ein großer Aufwand, das können wir einfach nicht stemmen«, begründet Lindinger. »Wir stellen deshalb der Presse grundsätzlich ein Foto zur Verfügung.« Auch interessierte Bürger werden abgewiesen. »Ich habe wiederholt darum gebeten, mir die Bäume anschauen zu dürfen«, berichtet Püschel. »Doch das wurde mir verweigert, mit der irrwitzigen Begründung, dass die ­Bäume auch sonst ­niemand ­gesehen hat.« Der BA-Chef bezweifelt, dass die chinesischen Schnurbäume überhaupt jemals wieder in ihre alte Form zurückgebracht werden können: »So wie die damals zusammengeschnitten wurden, kann ich mir das nicht vorstellen.«

Entwurzeln ist problematisch

Dass Großbaumverpflanzungen grundsätzlich problematisch sind, bestätigt Martin Hänsel vom Bund Naturschutz in München. »Die Bäume leiden enorm. Manche überleben den physiologischen Schock nicht. Und selbst wenn, dann kommt, sobald man sie zurückverpflanzt hat, meist die Verkehrssicherungspflicht dazwischen«, so Hänsel. Auch er hat den Abtransport der Marienhof-Bäume beobachtet: »Sie wurden stark beschnitten, das Wurzelsystem erheblich reduziert. Möglich, dass viele als zurecht gestutzte Krüppel zurückkommen.« Doch wohin zurück eigentlich? Auf den Marienhof wohl auf keinen Fall. »Es war nie beschlossen, dass diese Bäume wieder an den Marienhof kommen«, so Pressesprecherin Lindinger. »Die Bäume werden an einer geeigneten Stelle verpflanzt, nach einer notwendigen Erholungsphase, die etwa fünf bis sechs Jahre dauert. Ein neuer Standort ist noch nicht festgelegt.«

Fest stehe aber, dass der Marienhof auf jeden Fall wieder als Grünanlage hergerichtet werden soll, entweder nach Beendigung der Bauarbeiten für die Stammstrecke oder, falls dieses Projekt nicht finanzierbar sein sollte, nach Beendigung der archäologischen Grabungen, also etwa ab Frühjahr 2012. »Die Entscheidung über die Platzgestaltung liegt bei der Landeshauptstadt München«, so Bernd Honerkamp, Pressesprecher der Deutschen Bahn (DB). »Diese teilte uns mit, dass sie eine andere Platzgestaltung anstrebt als vor Beginn der Bauarbeiten. Dann sollen auch einheimische Baumarten und nicht mehr die Schnurbäume gepflanzt werden.« Die Stadt mache die Vorgaben, die Bahn setze sie um.

Marienhof soll »Oase« werden

Weiter verfolgt werde laut Lindinger der Siegerentwurf des Realisierungswettbewerbs zur Neugestaltung des Marienhofs. Zu den Wettbewerbsaufgaben gehörte unter anderem, den Marienhof als städtischen Platz im Herzen der Altstadt zu erhalten und aufzuwerten. Es solle eine »Oase der Kultur, Erholung und Kontemplation« entstehen. »Fest steht: Der Zustand am Marienhof kann nicht mehr lange so bleiben«, sagt Püschel.

Zugleich appelliert er, die wenigen Bäume rund um den Marienhof unbedingt zu erhalten. »Ich wurde darüber informiert, dass die Platanen an der Ecke Residenz-/Schrammerstraße weg müssen, weil dort, im Falle des Baus der Stammstrecke, unter anderem Abwasserleitungen gelegt werden sollen«, so der SPD-Politiker »Doch das muss verhindert werden. Noch weitere Bäume zu verlieren, das wäre eine Katastrophe.« Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 22.11.2011
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