Die Grafinger »Gelben Hefte« erzählen liebevoll Zeitgeschichte

Grafing · Eine Liebeserklärung

Johann Hupfer freut sich, dass das Heft 17 der »Gelben Reihe« so gut bei den Grafinger Bürgern ankommt.	Foto: sf

Johann Hupfer freut sich, dass das Heft 17 der »Gelben Reihe« so gut bei den Grafinger Bürgern ankommt. Foto: sf

Grafing · In jedem Ort verbergen sich Geschichten. Man muss sie nur aufdecken. Das hat Johann Hupfer getan: »Grafinger G’schichteln und Grafinger Leit IV – Persönlichkeiten, Vereine und Brauchtum« heißt Heft 17 in der »Gelben Reihe« der Grafinger heimatkundlichen Schriften.

Es ist ein besonderes Heft. Nicht nur, weil es zum 60. Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft (Arge) für Heimatkunde Grafing erschienen ist, sondern auch, weil der Vorsitzende der Arge damit eine Art Liebeserklärung an seine Stadt geschrieben hat. Wer das Heft liest und demnächst an dem Haus in der Griesstraße 26 vorbei läuft, wird nicht mehr nur die Fassade wahrnehmen, sondern Bilder sehen: Wie Konrad Huber dort Anfang des vergangenen Jahrhunderts in seiner Stube sitzt und Schuhe näht und nach getaner Arbeit mit seiner Familie – Frau, vier Buben und zwei Mädchen – musiziert. Ab 16.30 Uhr mit Streichinstrumenten, ab 17.00 Uhr mit Blasinstrumenten. Der Schuhmachermeister war nämlich außerordentlich musikalisch und spielte mehrere Instrumente. Da es zu seiner Zeit noch kein Telefon und keine Sirenen gab, fungierte er als Signalhornist für die Freiwillige Feuerwehr. »Die Signale komponierte er selbst, die Hörner waren meist in As-Dur gestimmt«, erzählt Johann Hupfer. Die handschriftlichen Aufzeichnungen davon sind ebenfalls in Heft 17 abgedruckt.

Der Leser erfährt außerdem, dass die noch heute existierende Liedertafel jahrzehntelang von Hans Eham geleitet wurde, der in den 1940ern auch im Grafinger Salonorchester mitspielte, und dem zum 100. Geburtstag der Platz beim Seniorenheim gewidmet wurde. Und dass Therese Rieperdinger, die letzte der Familie, der Stadt Grafing stattliche Gebäude vermachte, unter anderem jenes, in dem heute das Museum untergebracht ist. Weiterhin lebten in Grafing die 2009 verstorbene Bildhauerin Johanna Schmidt-Grohe und der Schriftsteller Eugen Skasa-Weiß.

Noch lebende große Persönlichkeiten gibt es ebenfalls in Grafing, wie der Botschafter a.D., Hermann Huber. »Für das Heft hat er mir extra sein wertvollstes Foto zur Verfügung gestellt, das bei ihm zu Hause eingerahmt an der Wand hängt«, berichtet Hupfer. Es zeigt Huber mit dem ehemaligen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel, der den Grafinger am 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung, in der Botschaft in Prag besucht hatte. »Das war was ganz Besonderes. Normalerweise geht der Botschafter ja zum Präsidenten«, betont Hupfer. Etwas Besonderes sei es auch, dass Huber, der in der ganzen Welt herumgekommen ist, nach Einritt in den Ruhestand 2002 doch wieder in seine alte Heimat zurückkehrte. »Für ihn war das aber immer klar«, sagt Hupfer. Und gibt eine Geschichte zum Besten, die nicht in Heft 17 steht: »Er hat mir erzählt, dass er einmal im Kongo Angst hatte. Sie hatten die deutsche Fahne gehisst, die von den Farben her identisch ist mit der belgischen, nur sind da die Streifen vertikal. Aber das wussten die Menschen im Kongo nicht, die unter belgischer Kolonialherrschaft lebten und entsprechend schlecht auf die Belgier zu sprechen waren. Also hat der Botschafter kurzerhand die bayerische Fahne gehisst – damit gab es keine Missverständnisse mehr.« Ja, Johann Hupfer kennt sie fast alle. Schließlich lebt der 69-Jährige zeitlebens in Grafing. Seine Informanten kamen aber auch aus den Reihen der über 100 Vereine, die es in Grafing gibt. Auch diese werden in dem Heft kurz vorgestellt.

Seit fast 30 Jahren gehört Johann Hupfer der Arge an, ab 1982 fungierte er als zweiter Vorsitzender, seit 1997 ist er erster Vorsitzender. »1951 wurde die Arbeitsgemeinschaft von Marin Oswald und dem Pfarrer Georg Hunklinger sowie zehn weiteren Mitgliedern gegründet. Es waren quasi die zwölf Jünger«, sagt Hupfer schmunzelnd. Das erste Heft der »Gelben Reihe« widmete sich Grafings Schulgeschichte. Heute zählt die Arge 250 Mitglieder. Besonders in den vergangenen 15 Jahren habe es einen erfreulichen Zuwachs von mehr als 100 heimatkundlich Interessierten gegeben. »Aber es sterben auch immer sehr viele weg, denn Jüngere finden kaum den Weg zu uns«, bedauert Hupfer.

Er selbst plant derzeit schon sein nächstes, aber voraussichtlich auch letztes Heft in der »Gelben Reihe«. Es soll eine Ergänzung zu dem bereits 1998 erschienenen Band »Feldkreuze im Gemeindegebiet der Stadt Grafing« werden, das damals Hans Obermayr verfasste. »Es gibt inzwischen mindestens sechs neue Feldkreuze und auch viele neue Kapellen«, erzählt Hupfer. Es sind oft tragische Geschichten, die zur Aufstellung führten. Laut Hupfer wird das Heft aber erst in zwei bis drei Jahren erscheinen. Im Moment freut er sich, dass Heft 17 so gut ankommt bei den Grafingern. Es wurde in einer Auflage von 300 Stück gedruckt und ist zum Peis von 5 Euro in den Buchhandlungen Bräuer am Marktplatz und Slawik in der Jahnstraße sowie zu den Öffnungszeiten im Museum der Stadt Grafing erhältlich. Noch ein Termin-Tipp: Eine über 300-jährige Tradition in Grafing ist die Leonhardi-Fahrt, die immer am letzten Sonntag im Oktober stattfindet, heuer also am 30. Oktober. »Das ist ein großes Ereignis in Grafing! 100 Pferde sind dabei, alte Kutschen und Truhenwagen, die schön geschmückt werden. Sie umfahren drei Mal die Leonhardi-Kirche und danach werden die Pferde gesegnet. Als in den 1950er-Jahren die Traktoren aufkamen, hatte man Angst, dass die Pferde aussterben und dieser Brauch dann auch stirbt«, erzählt Hupfer. Doch das sei glücklicherweise nicht geschehen. Sybille Föll

Artikel vom 25.10.2011
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