Bloße Schmiererei, politischer Protest oder sogar Kunstform?

Isarvorstadt/Haidhau­sen · Immer mehr Graffitis

Der Kripo-Beamte Harald W. erklärt vor einem Hauseingang (in der Metzstraße, Haidhausen) was die einzelnen Schriftzüge bedeuten.	Foto: Sybille Föll

Der Kripo-Beamte Harald W. erklärt vor einem Hauseingang (in der Metzstraße, Haidhausen) was die einzelnen Schriftzüge bedeuten. Foto: Sybille Föll

Isarvorstadt/Haidhau­sen · Für Passanten gehören sie fast schon zum gewohnten Straßenbild, für Hausbesitzer und die Stadt München sind sie teure Ärgernisse: Schmierschriften an Hauswänden und U-Bahn-Aufgängen.

Seit Anfang des Jahres wurde beim Kommissariat 43 ein merklicher Anstieg von politisch motivierten Schmierschriften verzeichnet, vor allem sind neben den bekannten Schriftzügen »Antifa« (Abkürzung für Antifaschisten) und A. C. A. B. (All Cops Are Bastards) neue hinzugekommen. Darunter »Semt«, »DPA«, »PRK« und »Miros«, deren Bedeutung den Polizeibeamten noch unklar ist. »Wir vermuten aber, dass sie mit kurdischen Bewegungen zu tun haben«, sagt Kommissariats-Leiter Alfons E. (aus Sicherheitsgründen wollen die Beamten nicht, dass ihre vollen Namen in der Zeitung veröffentlicht werden).

In diesem Jahr wurden 31 Fälle von Sachbeschädigung durch solche Schmierereien angezeigt, die teils wie Graffitis mit Spraydosen, teils mit Edding-Stiften geschrieben sind. Der Schaden beläuft sich dabei auf insgesamt 11.000 Euro. »Je nachdem, auf welchem Untergrund die Schmierereien sind, ist die Reinigung entsprechend kostspielig. Viele Hausbesitzer zeigen die Beschädigung gar nicht erst an, weil sie sich sagen, dass ein paar Tage nach der Säuberung sowieso wieder neu geschmiert wird«, so E.. Doch um die Täter zu erwischen ist die Polizei auf die Mithilfe von Hausbesitzern und Bürgern angewiesen. »Es wäre für uns schon hilfreich, wenn wir den Zeitraum, in dem die Sprayer aktiv waren, einschränken könnten. Ist der Schriftzug neu oder ist er schon seit einer Woche oder länger da? Dann könnten wir vielleicht ein zeitliches Muster erkennen und die Täter auf frischer Tat ertappen«, so der Komissariatsleiter. »Auch, wenn jemand beobachtet, dass da einer herumschmiert, bitte sofort die Polizei anrufen! Viele denken, wir machen nichts, aber das stimmt nicht, wir kommen dann sofort dorthin«, betont E..

Auffällig sei, dass sich die »Tatorte« vor allem in Haidhausen und Isarvorstadt befinden. Daher vermutet die Polizei, dass sich die Schmierschriften, die sie vor allem der links-autonomen Szene zuordnet, gegen die Gentrifizierung in München wenden, das heißt gegen die soziale Umstrukturierung und die Aufwertung einiger Stadtviertel durch Sanierungen und die Schaffung teuren Wohnraums. So finden sich vielerorts auch Aufkleber mit dem Slogan »Stadt für alle – alles für alle«. »In den beiden Stadtvierteln werden derzeit viele alte Häuser saniert, was natürlich dazu führen wird, dass die Mieten steigen«, erklärt Harald W., einer der zuständigen Sachbearbeiter im Kommissariat 43. Paradebeispiel für den herrschenden Kapitalismus sei für die linke Szene »The Seven« im Glockenbachviertel. In dem ehemaligen Heizkraftwerk in der Müllerstraße 7 soll unter anderem die teuerste Wohnung Münchens entstehen.

In der Isarvorstadt sind auffällig viele Schmierschriften auf dem Weg vom »Kafe Marat« zu Bus- oder U-Bahn-Haltestellen zu finden. Das Kafe Marat in der Thalkirchner Straße ist bekannt als Treffpunkt der links-autonomen Szene und wird deswegen auch im Verfassungsschutzbericht 2010 erwähnt. »Hier gibt es einen Infoladen, der ganz offen Spraydosen, Terpentin und Sturmhauben verkauft«, sagt der Leiter des K 43. Die gesamte Klostermauer in der Thalkirchner Straße sei voll mit politischen Graffitis. Selten werden die Täter erwischt. »Wir vergleichen und sammeln Fotos von den Schriftzügen und beauftragen dann das Landeskriminalamt, einen Schriftvergleich zu machen. Aber ob es derselbe Täter war, kann nie mit hundertprozentiger Sicherheit gesagt werden«, so E.. In einem Fall konnten einem gefassten Täter sieben Schmierschriften nachgewiesen werden. Das Urteil: 140 Tagessätze zu je 30 Euro, insgesamt also 4.200 Euro Geldstrafe. Die Strafe ist allerdings abhängig von Alter und Vorstrafen. Jugendliche unter 21 Jahren müssen kein Geld zahlen, sondern kommen in den »Genuss« von speziellen Jugend-Programmen, bei denen sie Putzdienste oder dergleichen verrichten.

Graffiti ist nicht gleich Graffiti

Obwohl sich so mancher Verfasser von Schmierschriften als Künstler sieht, darf man diese nicht mit Graffitis als solche verwechseln. Die Kripo München unterscheidet hier sehr genau. Im Kommissariat 25 gehen alle Anzeigen für Sachbeschädigungen ein, ergo auch Schmierereien und Graffitis an Hauswänden. »Handelt es sich um einzelne, geschriebene Worte oder Sätze ohne politischen Hintergrund und künstlerischen Wert, wie zum Beispiel ›Ich liebe dich‹, dann fällt das in unseren Aufgabenbereich«, erklärt Jürgen S., Leiter der Koordinierungsstelle für Sachbeschädigungen im K 25. Handelt es sich um politische Parolen, geht die Akte zum K 43. Sind es jedoch künstlerisch gestaltete Graffitis, kümmert sich das K 23 darum, das Ende der 90er-Jahre hierfür eine eigene Arbeitsgemeinschaft (AG) eingerichtet hat. »In der eingeschworenen Szene heißt es mittlerweile nicht mehr ›Graffiti‹, sondern ›Street Art‹. Damit wollen sich die Künstler von dem ›Mob der Schmierer‹ unterscheiden«, weiß deren Leiter. Ihre Motivation: Ruhm und der Kick dabei. Sie kommen aus aller Herren Länder und sind untereinander vernetzt.

Die Münchner S- und U-Bahnen gelten in der Szene als besonders attraktiv, um Street Art zu hinterlassen. »Mir hat mal ein festgenommener Spanier erzählt, das läge daran, dass das aufgrund der hohen Sicherheitsvorkehrungen sehr schwierig sei und deshalb besonders aufregend. Ich hab’ der Bahn schon geraten, die Zäune einfach abzubauen«, sagt der AG-Leiter lachend. Als Beweis für ihre Tat müssen die Künstler Fotos machen, »sonst glaubt’s ihnen keiner, weil die Züge sofort wieder gereinigt werden«, so der Kripo-Beamte. Statt teurer Reinigung rät er manchen Hausbesitzern, die Kunstwerke einfach bestehen zu lassen, wenn sie gut sind. Dann sei die Gefahr, dass sie erneut, aber hässlich beschmiert werden, geringer. Der Spanier war mit drei weiteren Freunden, wenig Gepäck und fast ohne Geld unterwegs. Obwohl die Truppe, alle Anfang 20, einen Sachschaden von rund 15.000 Euro verursacht hatte, musste die Staatsanwaltschaft sie wieder laufen lassen. Sanktionen seien hier einfach schwierig. Werden hingegen junge deutsche Täter unter 21 Jahren gefasst, kommen sie ins »ProGraM«, ein Gemeinschaftsprojekt von »Die Brücke e.V.« und Münchner Kooperationspartner, das zwischen Geschädigten und den jungen Künstlern vermittelt. Doch Festnahmen sind selten. Auch hier gilt: Am besten auf frischer Tat ertappen. Wer Hinweise sowohl in Zusammenhang mit politischen Schmierschriften als auch Graffitis geben kann, wird gebeten, sich mit dem Polizeipräsidium München, Tel. 2 91 00 in Verbindung zu setzen. Sybille Föll

Artikel vom 20.09.2011
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