Jedes dritte Kind bekommt keinen Kindergartenplatz

Schwabing · Eltern verzweifeln

Simon Ford, Holly mit »Affi« und Maria Burschel mussten erst einen Brandbrief an OB Ude schreiben, um einen Kindergartenplatz zu ergattern.	Foto: scy

Simon Ford, Holly mit »Affi« und Maria Burschel mussten erst einen Brandbrief an OB Ude schreiben, um einen Kindergartenplatz zu ergattern. Foto: scy

Schwabing · Sie wussten einfach nicht mehr, was sie tun sollten. Sie hatten schlaflose Nächte. Immer wieder, und das seit Monaten, ging ihnen die Frage durch den Kopf: »Bekommt unsere Tochter einen Kindergartenplatz?« Ständig diese Anspannung. Dauernd diese Ungewissheit.

»Stress total, das wünschen wir niemandem«, sagen Maria Burschel und Simon Ford. Und doch müssen genau das viele Münchner Eltern durchmachen. Überall im Stadtgebiet fehlt es an Kindergartenplätzen, in Schwabing-West liegt die Versorgungsquote bei 69 Prozent. Viel zu niedrig. Denn die Stadt strebt eine Marke von 90 Prozent an. Und die wäre dringend nötig – mindestens. »Wir Eltern wissen einfach nicht, wohin mit unseren Kindern«, berichtet Burschel. In ihrer Not tat sich die Schwabingerin mit anderen verzweifelten Eltern aus der Krippe an der Clemensstraße zusammen, davon einige alleinerziehend, andere Doppelverdiener.

In einem offenen Schreiben an Oberbürgermeister Christian Ude schrieben sie: »Wir sind empört! Bitte handeln Sie sofort.« Das war Ende Juni. Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, zumindest ein bisschen. Gerade noch rechtzeitig kamen die Zusagen, die Kinder der Eltern aus der Krippe an der Clemensstraße sind untergebracht. Auch Holly, die dreijährige und jüngste Tochter von Maria Burschel und Simon Ford. Das Akademikerpaar, beide berufstätig, könnte eigentlich aufatmen. »Doch das Problem besteht ja weiterhin«, sagen sie. »Wir rufen auch andere Eltern auf, sich gegen diese familienfeindlichen Zustände zu wehren.«

Es könne nicht sein, dass es »Glückssache« sei, ob ein »Münchner Kindl« einen städtischen Betreuungsplatz bekomme oder nicht. »Wo Plätze fehlen, sind Existenzen bedroht«, sagt Simon Ford. Alternativen wie Privatkindergärten seien oft viel zu teuer und nicht alle seien bereit, sich in Elterninitiativen zu engagieren. Würde sich keine Lösung finden, so sei in der Regel ein Elternteil gezwungen, die Arbeit aufzugeben, um das Kind zu betreuen. »Doch das kann sich kaum einer leisten. Die Mieten sind so hoch. Um hier leben zu können, braucht man zwei Einkommen.« Hätte es für Tochter Holly keine Zusage gegeben, so hätte die Familie, wie Ford erzählt, keine andere Wahl gehabt, sie wäre aus München weggezogen. »Ist das etwa das Ziel von familienfreundlicher Stadtpolitik?«, fragt der dreifache Vater.

Auch der Bezirksausschuss Schwabing-West (BA 4) weiß um die Not der Mütter und Väter. »Die Lage ist sehr prekär. In den letzten Jahren kamen immer mehr Eltern, die uns dringend um Hilfe gebeten haben«, berichtet die Kinder- und Jugendbeauftragte Christl Feiler (Bündnis 90/ Die Grünen). In einem fraktionsübergreifenden Antrag an das Referat für Bildung und Sport, verfasst im Juli und bislang noch nicht beantwortet, wies der BA die Stadt auf die Brisanz des Themas hin und forderte auf, transparent zu machen, wie zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen würden. Zudem wurde um aktualisierte Prognosen gebeten, die angeben, mit wie vielen neu zugezogenen Familien die Stadt für den vierten Bauabschnitt am Ackermannbogen, das neu zu bebauende Areal an der ehemaligen Luitpoldkaserne und die Neubauflächen an der Schwere-Reiter- und Dachauer Straße rechnet. »Außerdem sollten die Vergaberichtlinien vereinfacht werden, damit Eltern schneller Bescheid wissen, woran sie sind und nicht monatelang im Ungewissen gelassen werden«, so Feiler. Eine weitere Forderung: »Die Stadt sollte kreativer mit Räumen umgehen.« Beispielsweise, so Maria Burschel, könnte man Kindergartenplätze in den Räumen der Bayer- oder Schwindschule schaffen oder alte Gebäude renovieren wie das »Hexenhaus« an der Clemensstraße.

Stadt tut ihr Möglichstes

Untätigkeit kann man der Stadt allerdings wirklich nicht vorwerfen. Sie investiert Unsummen in den Ausbau der Kinderbetreuung, bis 2016 rund 330 Millionen Euro allein in neue Kindertagesstätten. »Wir geben Gas, wir bauen wie die Weltmeister«, sagt Ursula Oberhuber vom Referat für Bildung und Sport. »Die Stadt nimmt die Situation sehr ernst. Es fehlt weder am Geld noch am guten Willen des Stadtrats.« Doch man komme mit der rapide steigenden Nachfrage »einfach nicht nach«. Zudem gebe es weitere Hindernisse, die den Ausbau von Betreuungsplätzen für Kinder erschweren. Etwa das Problem mit den Nachbarn. »Wir sind mit zunehmenden Klagen konfrontiert. Nicht jeder will einen Kindergarten in seiner Nachbarschaft haben«, so Oberhuber. Auch sei es schwierig, entsprechende Fachkräfte zu rekrutieren. Um den Personalmangel zu reduzieren, würden unter anderem Grundschullehrer, die keine Anstellung finden, für die Tätigkeit in einer Kindertagesstätte qualifiziert. Bereits 41 konnten eingestellt werden, im nächsten Jahr sollen es bereits 100 sein.

Keine geeigneten Grundstücke da

Auch eine Hürde: das Platzproblem. »Es fehlen Grundstücke, die groß genug sind. Ein Garten beispielsweise muss immer dabei sein«, so Oberhuber. Für Schwabing-West zeichnete OB Christian Ude folgende Prognose: »Da sich in Schwabing-West kaum geeignete Grundstücke befinden, werden die Flächen im Siedlungsgebiet am Ackermannbogen mit zahlreichen Kindertageseinrichtungen überplant. Im Jahre 2015 soll so ein Versorgungsgrad von 82 Prozent erreicht sein.« Und doch, es reicht noch lange nicht. Auch bei den Kleinsten »brennt« es.

Der Versorgungsgrad bei Krippen liegt in Schwabing-West aktuell bei 21,5 Prozent. Und für Münchens Grundschüler gilt: Für 63 Prozent gibt es einen Ganztagsbetreuungsplatz, etwa in Horten, Ganztagesklassen, Tagesheimen, oder in der Mittagsbetreuung. »Sobald Holly in die Schule kommt, geht die Suche also wieder los«, sagt Burschel. »Wir hoffen, dass in naher Zukunft, Kinderbetreuung verlässlicher und planbarer sein wird. Und natürlich bezahlbar und qualitativ wertvoll.« Und energisch fügt sie hinzu: »Es muss einfach möglich sein, dass es für jedes Münchner Kindl einen Platz gibt.« Das finden auch andere engagierte Eltern, die das Bürgerbegehren »Ausbau der Ganztagesbetreuung in München« (www.buergerbegehren-muenche.de) starten wollen. »Das ist genau der richtige Weg. Wir müssen zusammenhalten«, so Burschel. »Ganz nach dem Motto ›Yes You Can!‹« scy

Artikel vom 20.09.2011
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...