EWH bietet seit zehn Jahren Menschen aller Kulturen ein Forum

Ludwigsvorstadt · Offen für alle Welt

Die EWH-Urgesteine Sigrid Schacht (links) und Anna Regina Mackowiak haben das Auf und Ab der Einrichtung von Anfang an miterlebt. 	Foto: scy

Die EWH-Urgesteine Sigrid Schacht (links) und Anna Regina Mackowiak haben das Auf und Ab der Einrichtung von Anfang an miterlebt. Foto: scy

Ludwigsvorstadt · Er kam aus Togo und er hatte Probleme ohne Ende. Würde er eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen? Was würde mit seiner Frau geschehen? Konnte auch sie hier bleiben? Diese Fragen quälten ihn Tag und Nacht. Wer sollte ihm helfen?

Er kannte niemanden in München. Da stieß er auf ein Angebot des EineWeltHauses (EWH), die Rechtshilfe für Ausländer – seine letzte Rettung. Geschichten wie diese kennt Anna Regina Mackowiak viele. »Die Schwierigkeiten für ›Nichtdeutsche‹ in Deutschland sind im Laufe der Jahre nicht weniger geworden«, sagt die EWH-Mitbegründerin. »Oft können die Anwälte, die hier ehrenamtlich arbeiten, durch einen einfachen Rat helfen.« Doch nicht nur die Rechtsberatung ist eine wichtige Anlaufstelle, insgesamt beherbergt das EWH 92 Nutzergruppen. Eine stolze Zahl zum Jubiläumsjahr – im Juli feierte die Institution an der Schwanthalerstraße 80 ihr zehnjähriges Bestehen.

Rund 70.000 Besucher kommen inzwischen jährlich. Das sind fast 6.000 im Monat, etwa 200 täglich. »Wir haben einen Ort geschaffen für ein Miteinander der verschiedenen Kulturen«, sagt Sigrid Schacht, ebenfalls ein »Urgestein« des Hauses und Mitglied im Vorstand des Trägerkreises. »Multikulturalität kann nicht bedeuten, dass Kulturen sich konservieren und gegeneinander konkurrieren. Sie setzt voraus, dass man sich kennt, miteinander denkt, redet und gestaltet, sich mitbeteiligt und mitbestimmt«, ist sie sicher. Die Menschen, die aktiv mitwirken, kommen aus aller Welt, unter anderem aus Somalia, Chile, Bangladesh, Russland, Angola. Afghanistan, Italien, aus den USA und der Türkei. »Es mag in München vielleicht nur wenige Häuser geben, in denen so viele vielfältige Menschen aufeinander treffen«, sagt Nükhet Kivra, Vorsitzende des Ausländerbeirates München. »Seit Jahren bietet das Eine-Welt-Haus in einer Atmosphäre voller Respekt und Toleranz einen Treffpunkt für kulturelle und künstlerische Veranstaltungen aus aller Welt.« Das EWH sei außerdem ein weiterer Beweis, dass »ein friedliches Zusammenleben möglich ist.«

Und auch dafür steht das EWH: Hier wird Politik gelebt. Viele Nutzergruppen – manche treffen sich wöchentlich, andere monatlich – haben politische Themen auf ihrer Agenda. Besonders das Interesse an ökologischen Fragen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Auch die Themen Menschenrechte, bewaffnete Konflikte und Friedenspolitik stehen hoch im Kurs. Unbequemes wird nicht gescheut, beispielsweise in Diskussionsforen und Workshops gegen die in München stattfindende NATO-Sicherheitskonferenz. »Bei uns werden auch sperrige und missliebige Themen diskutiert und das mögen nicht alle«, sagt Geschäftsführerin Petra König.

Ehrenamtliches Engagement wird groß geschrieben: Manche Gruppen unterstützen Projekte der Entwicklungshilfe in ihren Herkunftsländern, andere leisten Flüchtlingsarbeit, wieder andere sind sogenannte »Solidaritätsgruppen«, die sich mit dem Volk eines bestimmten Landes solidarisch zeigen und auf dessen Probleme aufmerksam machen, beispielsweise zu Kuba und Tschetschenien.

Immer Platz für Engagement

»Jeder, der sich engagieren will, findet hier seinen Platz«, sagt Mackowiak. Weil immer etwas geboten ist, etwa Ausstellungen oder Diskussions- und Filmabende, weil es unter anderem eine Bibliothek gibt und die Gaststätte »Weltwirtschaft«, lohnt auch ein spontaner Besuch. »Wir sind ein offenes Haus. Man kann jederzeit vorbei kommen, muss sich nicht schick machen und auch nicht unbedingt Geld dabei haben«, sagt König. Nicht immer waren die Zeiten für das EWH so rosig wie heute. Im Jahr 2003 meldete der damalige Gaststättenbetreiber nach nur acht Wochen Betrieb Insolvenz an. »Das schädigte unser Image, das ganze Projekt geriet in eine ziemliche Krise«, erinnert sich König.

Rund zwei Jahre später die nächste Hürde: CSU-Stadtrat Josef Schmid stellte einen Antrag auf Einstellung der Zuschüsse – der Antrag wurde abgelehnt. Die dunklen Wolken haben sich inzwischen aufgelöst. »Wir haben längst wieder ein positives Ansehen in der Stadt«, so König. Auch die Finanzen hat man wieder langsam im Griff. 25.000 Euro Schulden wurden an die Stammkapital-Geber der Gastro-GmbH zurückgezahlt, das Insolvenzverfahren konnte abgewendet werden. »Der Trägerkreis hat immer noch Schulden, die er abbauen muss«, so Sigrid Schacht. »Wir müssen noch 10.000 Euro zusammenbekommen. Also heißt es weiterhin: Spenden sammeln.« Aufatmen ist den Betreibern auch sonst wenig vergönnt. Vor rund einem Jahr musste man um das Fortbestehen bangen. Die FDP-Stadtratsfraktion hatte im Mai 2010 in einem Antrag die Auflösung der Einrichtung und den Verkauf der Immobilie gefordert. Der Kulturausschuss des Stadtrats stimmte mit rot-grüner Mehrheit dagegen. »Wir haben schon viel überlebt«, so Mackowiak. Über Zukunftspläne verrät Mackowiak: »Wir wollen mehr junge Leute und Mitarbeiter mit frischen Ideen gewinnen.« Zudem wolle man das Bewusstsein für gemeinsame Ziele und Aktionen stärken, um »eine bessere und solidarische Welt zu schaffen.«

Potential soll besser genutzt werden

Die Schritte, die man bisher gemacht habe, seien die richtigen. »Wir sind bereits auf einem guten Weg, aber es ist noch mehr Potenzial vorhanden, das wir besser nutzen wollen«, so Mackowiak. Dass sie bisher viel richtig gemacht haben, zeigt nicht nur die Resonanz in München, sondern auch darüber hinaus. »Immer wieder kommen Delegationen, beispielsweise aus Afrika, neulich auch aus Augsburg, die gucken wollen, wie wir das machen«, berichtet Schacht. Das EineWeltHaus habe inzwischen eine »Art Modellcharakter«. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 06.09.2011
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...