Verantwortliche von »Karla 51« kämpfen verzweifelt um Erhalt

Maxvorstadt · Obdach obdachlos?

»Daumen hoch – wir hoffen, dass wir hier bleiben können« sagen Bernadette Schmid, Elke Gabler und Isabel Schmidhuber (v.l.).	Foto: scy

»Daumen hoch – wir hoffen, dass wir hier bleiben können« sagen Bernadette Schmid, Elke Gabler und Isabel Schmidhuber (v.l.). Foto: scy

Maxvorstadt · Es traf Gerda völlig unerwartet. Über 20 Jahre lang hatte sie in dieser Firma gearbeitet, sie kam gerne, sie machte einen guten Job. Doch dann kam der Konkurs. Und Gerda verlor den Boden unter den Füßen. Arbeitslos, und das mit Mitte Fünfzig, auf dem Markt war sie nicht mehr gefragt.

Es kamen dunkle Tage und noch dunklere Nächte, Gerda fiel in eine schwere Depression, konnte kaum mehr aufstehen aus dem Bett. Die Rechnungen häuften sich, Gerda hatte nicht die Kraft, sie zu öffnen. Eines Tages wurde sie wegen Mietrückständen aus ihrer Wohnung rausgeklagt. Gerda stand auf der Straße.

Ihre letzte Rettung: das Frauenobdach »Karla 51« an der Karlstraße in Maxvorstadt. Hier findet sie langsam wieder zurück ins Leben. Doch wie lange noch kann wohnungslosen Frauen wie Gerda dort geholfen werden? Denn nun soll »Karla 51« bald selbst ohne Dach über dem Kopf sein. Der bisherige Besitzer, die Bayerische Beamtenversicherungen (BBV), hat den Mietvertrag zum 15. November gekündigt und das Haus verkauft. »Das ist eine Katastrophe«, sagt Leiterin Isabel Schmidhuber. »Wir können doch Frauen in ihrer Not nicht mitten im Winter einfach auf die Straße setzen. Und wohin sollen sie denn in Zukunft gehen? Wir sind längst eine unersetzliche Anlaufstelle.«

Der Schock sitzt tief. Auch beim Evangelischen Hilfswerk (EHW), das das Frauen­obdach betreibt, ist man fassungslos. Geschäftsführer Gordon Bürk sagt: »Nie gab es Probleme. Wir hatten ein richtig gutes Verhältnis zu dem Eigentümer.« Für die notwendige Erweiterung des Frauencafés vor vier Jahren beispielsweise hätte die BBV sogar eine Spende dazu gegeben. »Ich verstehe nicht, wieso wir einfach vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Warum hat niemand vor dem Verkauf mit uns geredet?«

Das fragt sich auch Münchens Sozialreferentin Brigitte Maier (SPD). Die Landeshauptstadt fungiert als Mieterin und hätte bei einem Verkauf gerne mit geboten. »Doch man hat uns nicht gefragt«, so Maier. »Wie sollen wir in so kurzer Zeit ein Ersatzobjekt finden? Das ist extrem schwierig.« Deshalb ist die Stadt München mit dem neuen Hausbesitzer in Verhandlungen, um den bisherigen Standort zu halten. Sollte es hier keine Einigung geben, soll eine Fristverlängerung ausgehandelt werden – so lange, bis »Karla 51« etwas Adäquates findet. Mit ersten Ergebnissen hierzu ist im Laufe des Septembers zu rechnen.

Dass sich alle wundern, wundert wiederum Jan-Peter Heck vom BBV. »Der Vertrag wäre ohnehin ausgelaufen«, sagt er. »Die Stadt hätte sich rechtzeitig um einen Folgevertrag kümmern können, das hat sie versäumt.« Zunächst sei mit der Stadt ein Zehnjahresvertrag geschlossen worden, dann habe man einen Fünfjahresvertrag drangehängt, ab 15. November 2011, so das Angebot, hätte man jeweils um ein weiteres Jahr verlängern können. »Die Stadt hat nicht signalisiert, dass sie Interesse daran hat«, so Heck.

Nach 50 Jahren von Immobilie trennen

An einen Verkauf hat der BBV erstmal nicht gedacht. »Doch dann kam ein Interessent aktiv auf uns zu. Und schließlich haben wir uns entschieden, dass nach 50 Jahren der Zeitpunkt gekommen ist, uns von der Immobilie zu trennen«, sagt Heck. Der Grund sei »die Summe aller Erwägungen«, unter anderem der »künftig zu erwartende Renovierungsbedarf im Hinblick auf die Erlöschancen«. Es sei schließlich ein »handelsüblicher Vorgang«, dass man im Laufe von Jahrzehnten Immobilien auch wieder verkauft. Heck: »Man muss doch über seine Immobilien verfügen können. Dass sie gut wirtschaften, sind wir schließlich unseren Kunden schuldig.« Der künftige Eigentümer ist der Immobilieninvestor Heimbach & Schoeller mit Sitz in Pullach. »Es sollen auf 1.000 Quadratmetern Wohnungen entstehen«, sagt Sprecher Erwin Fried. Konkreteres könne man aber noch nicht sagen.

Klar ist: ein Objekt mit 40 Plätzen in zentraler Lage findet man nicht ohne Weiteres. Denn ein Umzug an den Stadtrand ist nicht denkbar. »Wir müssen jederzeit gut erreichbar sein. Die zentrale Lage ist eine wesentliche Voraussetzung für unsere Arbeit«, sagt Leiterin Schmidhuber. »Ein Teil der Frauen wird beispielsweise von der Bahnhofsmission zu uns ­geschickt.« Die Sozialpädagogin will aber die Hoffnung nicht aufgeben. »Ich glaube fest daran, dass wir hier weitermachen können. Und wenn nicht, vielleicht gibt es ja einen Hausbesitzer, der Platz für uns hat.« Zahlreiche Unterstützer, die das Aus von »Karla 51« verhindern wollen, gibt es auch in der Münchner Bevölkerung. Im Juli beispielsweise wurde von der Fachbasis Soziale Arbeit Maxvorstadt eine erste Unterschriftenaktion initiiert, bei der sich 1.147 Bürger beteiligten.

»Karla 51« erhalten: Alles dafür tun

Mitarbeiterin Andrea Uhl sagt: »Beunruhigt beobachten wir den Verdrängungsprozess, der durch die Umgestaltung des Viertels nördlich des Hauptbahnhofes gerade geschieht und am Beispiel von ›Karla 51‹ in erschreckender Weise deutlich wird.« Man wolle alles daran setzen, um nicht nur den Erhalt von »Karla 51« zu sichern, sondern auch um das Gesamtbild des Viertels in seiner Vielfältigkeit und Menschlichkeit zu erhalten. »Karla 51« gibt es seit zirka 15 Jahren. 40 wohnungslose Frauen, auch mit ihren Kindern, können hier bis zu acht Wochen untergebracht werden. »Bis sich ihre Situation stabilisiert hat und wir eine neue Bleibe für sie gefunden haben«, so Schmidhuber.

An 365 Tagen im Jahr geöffnet

In Not Geratene finden immer einen Ansprechpartner: An 365 Tagen im Jahr ist rund um die Uhr geöffnet. »Wir fangen die Frauen erstmal auf, es gibt preisgünstiges Essen, Waschmöglichkeiten, bei Bedarf Kleidung.« Auch das zur Einrichtung gehörende »Frauencafé«, an fünf Tagen in der Woche geöffnet, ist eine wichtige Anlaufstelle für Frauen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind und oft auch noch für Ehemalige, die, wie Schmidhuber sagt, »hier einen Anker gefunden haben«. Ansprechpartnerinnen sind unter anderem die Sozialarbeiterinnen Bernadette Schmid und Elke Gabler. »In jüngster Zeit nimmt die Zahl der von Wohnungslosigkeit betroffenen Frauen zu«, sagen sie. »Wir bekommen fünf Anfragen pro Tag.« Auch Zahlen des Amtes für Wohnen und Migration bestätigen diese Entwicklung, die nicht nur Frauen betrifft: innerhalb eines Jahres stieg die Anzahl der Wohnungslosen in München von 1.800 auf 2.200 Personen. Hauptursache: Der Investitionsdruck auf dem Immobilienmarkt wird immer größer und sorgt dafür, dass immer mehr Menschen ihr Heim verlieren. »Man wird viel schneller obdachlos als vor zehn Jahren«, bestätigt Schmidhuber. »Im Grunde kann das jedem passieren, Wohnraum in München wird immer weniger bezahlbar. Inzwischen fragen auch Frauen aus dem so genannten Mittelstand bei uns an.« Etwa 90 Prozent der Frauen, die zu »Karla 51« kommen, hätten irgendwann in ihrem Leben, oft in der Kindheit, Gewalt erfahren. »Dadurch ist ein Stück in ihnen kaputt gegangen. Wenn solche Frauen dann in eine Lebenskrise kommen, dann können sie viel schlechter damit umgehen als andere.«

Orte, die Frauen Hoffnung geben

Deshalb müsse es einfach Orte geben, die den Frauen wieder Hoffnung geben. Gerda beispielsweise lacht wieder. Und bald bekommt ihre hochschwangere Nachbarin, die 18-jährige Julia, ihr Kind. »Wir werden mehr denn je gebraucht«, so Schmidhuber. Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit betroffene Frauen können sich unter Tel. 5 49 15 10 melden, das Telefon ist täglich rund um die Uhr besetzt. Möglich ist auch, sich vor Ort beraten zu lassen. Sach- und Geldspenden werden gerne entgegengenommen, das Spendenkonto lautet: Evangelisches Hilfswerk München, Zweckbindung Karla 51, Hypo Vereinsbank, Konto 2 75 44 44, BLZ 70 02 02 70. Sylvie-Sophie Schindler

»Gentrifizierung – wem gehört die Stadt?«

Artikel vom 23.08.2011
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