Viertelbewohner verbringen den Urlaub vor der eigenen Tür

Schwabing · Paradies Schwabing

Warum in die Ferne schweifen? Alex, Laura, Sandra und Daniel (v. l.) fahren im Urlaub am liebsten Tretboot am Kleinhesseloher See.	Foto: scy

Warum in die Ferne schweifen? Alex, Laura, Sandra und Daniel (v. l.) fahren im Urlaub am liebsten Tretboot am Kleinhesseloher See. Foto: scy

Schwabing · Klar, Italien hat sein Meer. Schon mal ein gutes Argument. Und weil das viele Münchner überzeugt, packen sie, kaum haben die Sommerferien begonnen, ihre Koffer, und los geht es in den lockenden Süden. Aber warum eigentlich in die Ferne schweifen?

Der Spruch »Daheim ist es doch am schönsten« ist nicht nur einfach so daher gesagt. In Schwabing beispielsweise lässt sich der Sommer richtig gut verbringen. Finden die, die dageblieben sind. »Hier habe ich alles, was ich zur Erholung brauche. Wozu also soll ich viel Geld für eine Reise ausgeben?«, sagt Corinna Pfeiffer. Bald bricht ihre zweite Urlaubswoche an. Und die 39-jährige Schwabingerin genießt ihre freien Tage dort, wo sie zu Hause ist. »Schwabing, das ist mein Urlaubsland«, sagt die Dunkelhaarige lachend. So oft es geht, packt sie Bücher, MP3-Player und eine Decke in ihren Rucksack und radelt rüber in den Englischen Garten, Richtung Aumeister. »Ein bisschen ab vom Schuss, da habe ich meine Ruhe«, erzählt sie. Und wenn der Regen einen Strich durch die Rechnung macht? »Dann spaziere ich einfach durchs Viertel, es gibt so viele bezaubernde Nebenstraßen. Ich probiere neue Cafés aus oder stöbere in Läden, die ich sonst gar nicht entdeckt hätte, beispielsweise in der Haimhauser Straße.«

Wer in Schwabing wohnt, der hört oft den neidvollen Kommentar: »Ach, toll, da würde ich auch gerne wohnen.« Kein Wunder, Schwabing hat einfach sein ganz eigenes Flair. Und seinen Mythos hat es auch. So viele Berühmtheiten haben hier schon gelebt und geliebt. Rainer Maria Rilke beispielsweise. Dann Thomas Mann, Wassily Kandinsky, Bert Brecht. Die Uschi Obermeier ist hier mit dem Mick Jagger um die Häuser gezogen. Bernd Eichinger und Helmut Fischer fühlten sich in Schwabing zuhause. »Schwabing ist kein Stadtteil, sondern ein Zustand«, sagte einst vor rund 100 Jahren Muse und Gräfin Franziska zu Reventlow.

»Schwabing ist ein Paradies«, schwärmt heute Daniel. Es ist Sonntag. Der Sommer will es noch mal so richtig wissen. Hitzige Temperaturen, es treibt die Leute in Scharen aus den Häusern und hinein in den Englischen Garten. Daniel und seine Freunde Alex, Laura und Sandra sind aus den Vororten Eching, Ismaning und Unterföhring her gekommen. »Wenn wir uns erholen wollen, dann überlegen wir nicht lange, dann fahren wir nach Schwabing«, erzählt er. Warum? »Weil es hier einfach wunderschön ist«, sagt Sandra begeistert. Und Alex sagt: »Besonders mögen wir den Englischen Garten. Da denkt man doch gar nicht, dass man in einer Großstadt ist.« Gut gelaunt springen die Vier in eines der vielen Tretboote am Kleinhesseloher See, lachen, paddeln davon. Wenige Meter entfernt, am Ufer, steht Evangelos Rados, braun gebrannt, einen Strohhut auf dem Kopf. Er arbeitet hier, bringt unter anderem die Leute zu den Booten. »Hier zu arbeiten, das ist wie Urlaub«, sagt der 43-jährige. »Wenn die Sonne scheint, ist natürlich besonders viel los. Die Leute kommen ja aus der ganzen Welt, aus Spanien, Italien, Griechenland.«

Der besondere Charme Schwabings

Oder aus Heilbronn, wie die Familie Walz. »Wir machen jedes Jahr in München Urlaub, eine sehr sympathische Stadt«, sagt Papa Jürgen. Schwabing habe einen »besonderen Charme, locker, unkompliziert«, findet Mama Irene. »Das ist echt erholsam hier. Und man hat das Gefühl, man ist fast schon in Italien.« Auch in den nächsten Jahren soll es in die Isarmetropole gehen. »Wir haben die Schnauzen der Löwen angefasst, alle vier, diese Löwenköpfe bei der Residenz«, berichten die Söhne Johannes und Christian. »Und es heißt ja, dass man dann immer wieder zurückkommt nach München.« Papa Jürgen wedelt mit dem Stadtplan. »Und jetzt geht es rüber zum Biergarten am Chinesischen Turm.« Wohnen, wo andere Urlaub machen. »Ich bin froh, dass ich in München studiere und nicht weit von der Uni, da ist meine WG«, sagt Thorsten, der mit seinem Kumpel Norman, auch Schwabinger, auf Inline-Skates unterwegs ist.

Die beiden machen gerade einen kurzen Halt, um sich Eis zu kaufen. »Ursprünglich komme ich aus Berlin, da kommt man einfach nicht zur Ruhe«, erzählt der 23-jährige. Semesterferien, das bedeutet: Lernen. »Ich kann es mir gar nicht erlauben, ein paar Tage wegzufahren. Außerdem ist die Kohle knapp«, so Thorsten. Trotzdem, ein paar freie Stunden jeden Tag seien schon drin. »Am liebsten gehe ich dann in den Luitpoldpark. Manchmal verabrede ich mich dort spontan mit Kumpels zum Kickern.«

Reisen bedeutet: »Stress«

Die Eisverkäuferin guckt ihn an, wie viele Kugeln sollen es denn sein? Banane, Haselnuss, Schoko ordert Thorsten. »Wer in Schwabing wohnt, hat sowieso das große Los gezogen«, meint Norman, der bereits seine Eiswaffel in der Hand hält. »Ist doch eigentlich blöd, wegzufahren. Reisen bedeutet eh nur Stress.« Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 16.08.2011
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...