Baubeginn vor 50 Jahren: Münchner Ex-Berliner erzählen

München · Im Schatten der Mauer

Wolfgang Ettlich 1989 als Mauerspecht. Ein Stück Berliner Mauer mitten in München: seit 15 Jahren steht es als „Mahnmal Deutsche Einheit“ an der Königinstraße 5. Fotos: Privat/ms

Wolfgang Ettlich 1989 als Mauerspecht. Ein Stück Berliner Mauer mitten in München: seit 15 Jahren steht es als „Mahnmal Deutsche Einheit“ an der Königinstraße 5. Fotos: Privat/ms

München · Von einem Tag auf den anderen fehlten beim Training des Südstern 08 ein paar Kicker. „Die konnten ja nicht mehr kommen“, erzählt Wolfgang Ettlich, Dokumentarfilmer aus Schwabing und Betreiber der Kabarett- und Musikbühne „Heppel & Ettlich“ in der Feilitzschstraße.

Ettlichs damaliger Fußballplatz in Berlin, an dem er auch seinen langjährigen Kompagnon Heppel kennengelernt hat, lag plötzlich genau an „der Mauer“. Ettlich, seit 1968 in München, hat den Bau als Jugendlicher im West-Berliner Stadtteil Neukölln hautnah miterlebt.

Ausstellung im Olympia-Einkaufszentrum: »50 Jahre Mauerbau in Berlin«

Vor 50 Jahren, am 13. August 1961, zog das DDR-Regime den „antifaschistischen Schutzwall“ hoch. Und genau an diesem Tag sollte Ettlich, damals 14, aus einem dreiwöchigen Jugendlager an der Ostsee heimkehren in die Pflügerstraße. Doch dann hieß es: „Ihr könnt nicht zurück!“ Erst am 15. August 1961 durften sie nach Hause fahren, begleitet von amerikanischen Soldaten. „Wieder in Berlin sind wir als erstes an die Mauer gerannt“, erinnert sich Ettlich, „die haben Stein auf Stein gesetzt, etwa 1,50 Meter war die Mauer da schon hoch und Stacheldraht drauf, das ging ziemlich schnell“. Erst sei es eine Art Abenteuer gewesen, die Mauer war noch nicht so hoch und man konnte drüberschauen und mit den Leuten reden, erzählt Ettlich, der dann im Herbst im Rahmen seiner Ausbildung als Postbote in Kreuzberg unterwegs war. „In meinem Zustellbereich lag auch eine Straße, die von der Mauer geteilt wurde.“ Es gab nur noch ein paar Übergänge. „Doch das Schlimmste waren die Betonrollen, die ein Überklettern verhindern sollten“. Ettlichs Familie war nicht direkt durch die Teilung betroffen, doch im Schatten der Mauer herrschte ein Klima der Angst: „Die Russen kommen.“

Mit „Angst“ verbindet auch Christine Lange aus Moosach den Tag des Mauerbaus.

Lange war damals sieben Jahre alt und ist in Burg bei Magdeburg, 100 Kilometer von Berlin entfernt, aufgewachsen. Seit genau elf Jahren lebt und arbeitet sie an der Isar.

„Meine Eltern dachten damals, jetzt kommt Krieg, und diese Angst hat sich auch auf uns Kinder übertragen, dabei wusste ich gar nicht genau, worum es ging.“ Die Mauer trennte 28 Jahre lang nicht nur Deutschland und Berlin, Ost und West, Kapitalismus und Sozialismus: „Durch die Teilung Deutschlands konnte meine Mutter ihre ältere Schwester nicht mehr besuchen“, berichtet Lange, „weil mein Vater bei der Berufsfeuerwehr in Magdeburg arbeitete und die Feuerwehr zum MDI (Ministerium des Innern) angeschlossen war. Zur Jugendweihe meiner Cousine durfte uns meine Tante Dora das erste Mal nach 15 Jahren besuchen. Weil mein Vater nicht wusste, dass Westverwandtschaft auf der Feier eingeladen war, konnte er das auch nicht bei den Behörden anmelden – und so mussten wir die Feier sofort verlassen. Sonst hätte mein Vater, da ja Stasi-Spitzel unter den Gästen sein konnten, seine Arbeit verloren – für unsere Familie mit sechs Kindern wäre das eine Katastrophe gewesen.“

Ein Gefühl der Angst empfand Lange später auch im Beruf: „Ich habe in einem Bekleidungswerk gearbeitet, das auch Uniformen hergestellt hat, etwa für den Jemen. Überall im Betrieb musste man aufpassen, was man sagt.“
Auswandern sei immer ein Thema gewesen: „Am Abend vor dem Mauerfall am 9. November 1989 hatte ich schon die Rucksäcke gepackt, um mit meinen zwei Kindern über Tschechien zu fliehen, dann fiel die Mauer. Da habe ich das erste Mal wirklich Freiheit empfunden!“

Diese Freiheit genoss auch Wolfgang Ettlich nach seiner Ankunft in München sehr:

„Jeden Tag nach der Arbeit sind wir mit dem Auto irgendwo hingefahren, einfach geradeaus, keiner hat uns aufgehalten, ein halbes Jahr ging das so, ein geiles Feeling!“ In Berlin sei man ja in einer Insel aufgewachsen und die Ausreise an der Grenze hat stundenlang gedauert. „Wir haben jedenfalls alle vom Tegernsee und Starnberger See geträumt“, erzählt der eingefleischte Schwabinger mit Berliner Zungenschlag.

Bayern war auch für Ina Berwanger, die ebenfalls in Neukölln aufgewachsen ist und heute am Truderinger Wald lebt, „das Paradies“.

Den Mauerbau hatte sie als Fünfjährige erlebt. „Bis zu diesem Tag waren meine Familie und ich in jeder freien Zeit bei meinem Opa an der Spree im Osten. Das ging dann nicht mehr, meine Kinderidylle war plötzlich weg.“ Im Schatten der Mauer hat Berwanger Schule und Studium absolviert, erst in Neukölln, dann in Kreuzberg, einen Steinwurf entfernt von der Mauer. „Die Mauer steht für mich bis heute für Unfreiheit, Ungerechtigkeit und Bevormundung. Ich glaube, daher kommt auch mein riesengroßes Bedürfnis nach Freiheit.“

Mit 18 ist sie mit ihrem Auto „bei jeder Gelegenheit“ nach Bayern gefahren, um Berge, Seen und Natur zu genießen, vor 20 Jahren zog sie dann endgültig hierher. „Die Freiheit hat für mich immer im fränkischen Rudolfstein, knapp hinter der Grenze zu Thüringen, angefangen, davor kam ich mir vor wie eingesperrt. Doch Freiheit bedeutet mehr als reisen zu können und ein schönes Auto vor der Tür zu haben. Das dürfen wir nicht vergessen.“

Zum Thema „50 Jahre Mauerbau“ ist bis 20. August im Olympia-Einkaufszentrum eine Ausstellung zu sehen.

Die Schau der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zeigt anhand von teilweise erst nach Jahrzehnten veröffentlichten Bildern und Dokumenten die Geschichte sowohl der innerdeutschen Grenze als auch der Berliner Mauer. Von Michaela Schmid

Artikel vom 11.08.2011
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