Da-Sein bietet interkulturelle Hospizberatung für Migranten

Zentrum · Tod in der Fremde

Eine erkleckliche Spende gab es von der Stadtsparkasse für das neue Projekt des Hospizdienstes Da-Sein zur interkulturellen Hospizarbeit.	Foto: Da-Sein

Eine erkleckliche Spende gab es von der Stadtsparkasse für das neue Projekt des Hospizdienstes Da-Sein zur interkulturellen Hospizarbeit. Foto: Da-Sein

Zentrum · Um anderen Kulturen auch dann gerecht zu werden, wenn es um das Sterben geht, hat der Hospizdienst Da-Sein, ansässig an der Karlstraße, jetzt eine ambulante Hospiz- und Palliativberatung für Menschen mit Migrationshintergrund aufgebaut.

Ein Beispiel ist Dragan (Namen geändert): Nicht mehr lange, und er würde sterben. Dragan lag in seinem Bett, konnte sich kaum mehr bewegen. Ein inzwischen einsamer Mann, irgendwo in München, der vor vielen Jahren aus seiner Heimat Serbien hierher gekommen war. Er hat hier gelebt, gearbeitet, geliebt – und am Schluss sehr gelitten. Das Alleinsein. Die Krankheit. Der einzige Mensch an seiner Seite, in diesen letzten Wochen seines Lebens, war Anna, eine Mitarbeiterin des Hospizdienstes Da-Sein. Wenn sie da war, dann sprach er mit ihr über seine vielen Erinnerungen. Und wieder und wieder über seine Heimat.

Eines Tages brachte Anna einen anderen Serben, Branko, mit in die Wohnung, ein Mitarbeiter des Migrationsdienstes. Sofort sprachen die beiden in Landessprache miteinander, wie alte Bekannte, eine Flasche Schnaps wurde geöffnet, so wie es zur Begrüßung zwischen Landsmännern üblich ist. Ein Mann aus seiner Heimat – da leuchteten Dragans Augen so wie sie lange schon nicht mehr geleuchtet hatten. »In anderen Kulturkreisen gibt es viele Rituale, die wir gar nicht kennen«, sagt Katharina Rizzi, Geschäftsführerin von Da-Sein. »Doch gerade diese Rituale haben in der letzten Phase des Lebens eine große Bedeutung.« In München würden Menschen aus 180 Staaten leben. Ein Großteil verbringe hier auch seinen Lebensabend und werde hier sterben, sagt Rizzi. Doch obwohl sich schon viel hinsichtlich der Situation von Menschen mit Migrationshintergrund verbessert hätte, so hätten viele Schwerkranke und alte Sterbende aus anderen Kulturkreisen immer noch keinen Zugang zu den Angeboten der Hospiz- und Palliativarbeit. »Das wollen wir ändern«, sagt die Geschäftsführerin.

Bereits in den Jahren 2008 und 2009 hat Da-Sein in Kooperation mit der Stelle für interkulturelle Arbeit am Sozialreferat der Landeshauptstadt München jeweils eine Tagung mit dem Titel »Sterben in der zweiten Heimat« veranstaltet. »Die Resonanz war groß«, berichtet Rizzi. Die Ergebnisse der Tagung hätten gezeigt, dass in naher Zukunft die Nachfrage nach kultursensibler fachlicher Begleitung bei Krankheit, Alter und Sterben ansteigen wird. Insofern bietet nun auch der Verein entsprechende Fortbildungen für seine rund 40 ehrenamtlichen Mitarbeiter an und eine Sozialpädagogin wird eigens zu diesem Thema eingearbeitet. Zusätzlich sucht Da-Sein dringend weitere Ehrenamtliche, vor allem solche, die aus anderen Kulturkreisen stammen. Interessierte aus allen Ländern seien jederzeit willkommen, sagt Rizzi. »Treffen Landsleute aufeinander, so bildet sich sehr schnell eine Vertrauensbasis. Das erleichtert vieles.«

Kultursensible Sterbebegleitung – was genau heißt das eigentlich? »Es geht unter anderem darum, sich mit andersartigen Philosophien, Umgehensweisen und Tabus zu den Themen Leben und Tod auseinanderzusetzen«, sagt Gabriele Grünewald, langjährige Palliativ-Care-Fachkraft. Die Hospizbegleiter müssten sich dabei von den Klischees befreien, die sie im Kopf haben. Nicht alle Christen, Buddhisten oder alle Moslems hätten nun mal dieselben Vorstellungen. Deshalb sei es entscheidend, offen auf den Sterbenden zuzugehen, es nicht besser zu wissen, sondern sich nach dessen ganz persönlicher Haltung zu erkundigen. »Fragen, fragen, fragen – das gehört ohnehin zu der Grundeinstellung eines jeden Hospizbegleiters«, sagt Grünewald. »Denn jeder Mensch hat ganz eigene Vorstellungen von seinem Tod und seinem Sterben.«

Hospizarbeit, hierzulande längst gang und gäbe, ist nicht in allen Kulturkreisen verbreitet. »Dass da ein Fremder kommt und Sterbebegleitung anbietet, und das auch noch kostenlos, das befremdet viele«, berichtet Grünewald. »Sie sind es gewohnt, sich alleine durchzuwurschteln und plötzlich bietet da einer seine Hilfe an. Damit tun sich viele schwer. Sie fragen sich: Darf ich diese Hilfe überhaupt annehmen?« Auch andere Hürden müssen bei der Hospizarbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund genommen werden. Manchmal sind es sprachliche Probleme, verstärkt durch das Verschwinden der Zweitsprache bei Demenzkranken, manchmal sind es seelische Belastungen, die nicht mehr unterdrückt werden können. »Wenn Menschen in ihrer letzten Lebensphase besonders empfindsam sind, drängt sich auch viel Verdrängtes an die Oberfläche«, so Grünewald. »Bei Migranten sind das oft Kriegstraumatisierungen.«

Zudem sei da oft eine große Sehnsucht, wieder in die Heimat zurückzukehren. »Wenn es ums Sterben geht, wird das Thema reaktiviert.« Doch meistens könne dieser Wunsch nicht mehr erfüllt werden, sei es aus Kosten- oder Gesundheitsgründen. »Das ist dann besonders schmerzhaft«, so Grünewald. Der ambulante Hospiz- und Palliativberatungsdienst Da-Sein besteht seit 1991. »Wir möchten dazu beitragen, unnötige Krankenhausaufenthalte zu vermeiden, damit die Patienten ihre letzten Tage in ihrer vertrauten Umgebung verbringen können. Sterbende sollen bis zuletzt ein selbstbestimmtes Leben führen können«, sagt Geschäftsführerin Rizzi und zitiert Cicely Saunders, die Begründerin der Hospizbewegung: »Sterben heißt leben bis zuletzt.«

Die Angebote von Da-Sein stehen allen Menschen offen und sind kostenfrei. »Wir machen da keine Unterschiede«, sagt Rizzi. »Mitgefühl und Würde sollen auch am Ende des Lebens oberste Priorität haben, und zwar für Menschen aus allen Kulturkreisen.«

Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 12.07.2011
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