Schwabinger Krawalle: Zeitzeugen in der Seidlvilla

Schwabing · Musik mit Folgen

Einer der Auslöser der Schwabinger Krawalle: Vor knapp 40 Jahren wurde Wolfram Kunkel beim Musizieren in der Leopoldstraße festgenommen.	Foto: js

Einer der Auslöser der Schwabinger Krawalle: Vor knapp 40 Jahren wurde Wolfram Kunkel beim Musizieren in der Leopoldstraße festgenommen. Foto: js

München-Schwabing · Fronleichnam im Jahr 1962: Fünf Straßenmusiker greifen an der Leopoldstraße, Ecke Martiusstraße gegen 22.30 Uhr in die Saiten ihrer Gitarren. Wenig später werden die jungen Männer festgenommen. Fünf Tage lang hat dieses Ereignis das Viertel in Aufruhr versetzt.

Schwabing 1962 - »Schwabinger Krawalle«

Bei den Schwabinger Krawallen lieferten sich bis zu 20.000 Bürger mit der Polizei erbitterte Straßenschlachten. Am 30. Juni eröffnet in der Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b, eine Ausstellung zu dem Thema. Anwesend sein werden auch die Musiker von damals. »Eigentlich wäre das alles gar nicht nötig gewesen«, sagt Sitka Wunderlich. Der 69-Jährige ist einer der Gitarristen, die den Tumult vor knapp 50 Jahren auslösten – allerdings völlig unabsichtlich. Die Gruppe habe »einfach nur Musik machen« wollen, betont er. An der Leopoldstraße habe sich eine Schar an Zuschauern um sie gebildet: »Vielen hat unser Ständchen gefallen.« Die Anwohner indes fühlten sich durch die nächtlichen Lieder gestört. Sie alarmierten die Polizei. Das allein jedoch hätte noch nicht zu Protesten geführt, glaubt Wunderlich: »Hätte man uns einfach nach Hause geschickt, wäre nichts passiert.«

Das »ruppige Verhalten« der Ordnungshüter habe bei den umstehenden Leuten jedoch Widerstand geweckt. Die Beamten hätten »nicht lang gefragt, sondern gleich zugeschlagen«. Gewaltbereitschaft gab es aber auch unter den Bürgern. Eine Frau habe mit dem Absatz ihres Stöckelschuhs seine Gitarre zerstört, berichtet Wolfram Kunkel, der ebenfalls zu den Musikanten gehörte. Als die Männer im Streifenwagen abtransportiert werden sollten, zerstach einer der Zuschauer einen Reifen, die Fahrt musste in einem anderen Auto fortgesetzt werden. Erstaunt ist Wunderlich noch heute über die Begründung der Anzeige. Neben »grobem Unfug« sei in den Akten die »übermäßige Benutzung des Bürgersteigs« vermerkt. Auch »kommunistische Umtriebe« seien ihnen unterstellt worden: »Dabei waren wir völlig unpolitisch.«

Während die jungen Männer die Nacht im Präsidium an der Ettstraße verbrachten, eskalierte im Viertel indes der Volkszorn. Polizeiberichten zufolge gingen die Menschen zu Tausenden auf die Straße. Insgesamt habe es etwa 10.000 bis 20.000 Protestteilnehmer gegeben, berichtet Gerhard Fürmetz, Herausgeber des Buchs »Schwabinger Krawalle. Protest, Polizei und Öffentlichkeit zu Beginn der 60er Jahre«. Dabei gewesen ist auch der spätere RAF-Terrorist Andreas Baader.

Was in diesen Tagen geschah, zeigt die Seidlvilla bis zum 29. Juli in einer Fotodokumentation in der Reihe »Proteste in München nach 1945«. Anwesend sein werden bei der Vernissage am 30. Juni Fürmetz, Wunderlich, Kunkel und der damalige Musiker Michael Erber. Beginn ist um 19 Uhr. Julia Stark

Artikel vom 21.06.2011
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