Der letzte Zivi aus Neuperlach beendet seinen Dienst

Neuperlach · Soziale Mangelware

Georg Prinz (FFHSZ), Simon Bartoschek, Maike-Brit Hessel (Heimleiterin), Steffen Rohrbach (v. li. n. re.) und vorne die 103-jährige Rosa Neumaier.	Foto: aha

Georg Prinz (FFHSZ), Simon Bartoschek, Maike-Brit Hessel (Heimleiterin), Steffen Rohrbach (v. li. n. re.) und vorne die 103-jährige Rosa Neumaier. Foto: aha

Neuperlach · Der letzte Zivi des AWO-Horst-Salzmann-Zentrum (HSZ) Simon Bartoschek wurde am 30. Mai feierlich verabschiedet. Der 22-jährige gelernte Industrie-Kaufmann hatte sich bewusst für die Hausmeis­terei beworben, wo er in kurzer Zeit zu einer guten Seele und technischen Hilfe für die 110 pflegebedürftigen Heimbewohner geworden war.

»Ich werde nie die dankbaren Blicke vergessen, wenn ich ein Bild aufgehängt, eine Glühbirne ausgetauscht oder Getränke besorgt habe« erinnert sich Bartoschek. Für ihn bestätigte sich im Laufe des Zivildienstes, dass ihm eine soziale Tätigkeit mehr liegt als Schreibtischarbeit. Jetzt wird der begeisterte Fußballer ein Jahr nach Costa Rica gehen, um Spanisch zu lernen und dort erneut für wenig Lohn im Nationalpark zu arbeiten. Ihn motivieren die »Eindrücke aus einem anderen Leben«, die er von den Bewohnern wie beispielsweise der 103 Jahre alten Rosa Neumaier erhalten hat. Auch sie kam zur Verabschiedung, bei dem ihm die Heimleitung, sein »Chef auf Zeit« Hausmeister Steffen Rohrbach und die Freunde und Förderer des Horst-Salzmann-Zentrums (FFHSZ) neben tief empfundenen Dankesworten symbolisch einen Besen schenkten. »Damit sie sich zukünftig alle Widrigkeiten des Lebens aus dem Wege räumen können«, so die Vorsitzende der FFHSZ Bezirksrätin Hiltrud Broschei. Früher als »Drückeberger« oder »faul« abgestempelt, haben sich Zivildienstleistende (ZDL-er) zur nahezu unentbehrlichen Stütze bei Wohlfahrtsverbänden, kirchlichen Einrichtungen und Sozialen Diensten gemausert. Doch mit dem Wegfall der Wehrpflicht fiel auch der Zivildienst und wird ab 1. Juli 2011 durch den »Bundesfreiwilligendienst« (BFD) ersetzt.

Der BFD ermöglicht allen Bürgern, sich nach abgeschlossener Schulausbildung sechs bis 24 Monate lang »in sozialen, kulturellen, ökologischen oder anderen gemeinwohlorientierten Tätigkeitsfeldern zu engagieren – sozialversichert und professionell begleitet«, informiert die Bundesregierung. Als Entlohnung winken ein Taschengeld bis maximal 330 Euro pro Monat, Unterkunft, Verpflegung und die Sozialversicherung.

BFD-ler statt ZDL-er – für die Sozialverbände stellt sich das nicht so einfach dar, zumal immer noch nicht alle Bundeszusagen in ihrer Höhe festgelegt sind. Beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) gibt es im gesamten Freistaat nur noch etwa 450 Zivis, die »auch schon mal Lücken besetzt haben, wo keine Kostenträger waren«, ­erklärt Leonhard Stärk, Lan­desgeschäftsführer des BRK. Daher muss jetzt vielfach die Schulbegleitung für Behinderte wegfallen, in einem Einzelfall ist in einer Region in Nordbayern der gesamte Fahrdienst weggebrochen. »Die Kreisverbände werben offensiv FSJ-ler, aber wir können mit dem Bundes­freiwilligendienst die Lücken nicht kompensieren. Und wir können keine verbindlichen Verträge machen, weil bestimmte Fakten unklar sind wie zum Beispiel die Kostenübernahme des Bundes für die pädagogische Begleitung des BFD«, ist Stärk ratlos.

Im Städtischen Klinikum Neuperlach bedeutet der Wegfall von zehn bis zwölf ZDL-ern »eine weitere Arbeitsverdichtung für das gesamte Pflegepersonal« sowie »interne Umorganisation und Arbeitsverdichtung«, weiß Klinik-Pressesprecher Marten Scheibel. Lücken könne man durch zusätzliche Arbeitskräfte versuchen zu stopfen, aber »nur im Rahmen des mit den Krankenkassen verhandelten (Personal-)Budgets«, betont er.

Kaum anders stellt sich die Situation im AWO-Horst-Salzmann-Zentrum (HSZ) in Neuperlach dar. Drei bis vier Zivis würden gebraucht, doch Werbung für Nachfolger durfte die AWO nicht machen: »Die Bewerber müssten Vorkenntnisse in der Betreuung alter Menschen haben, mit Arbeits- losen haben wir schlechte Erfahrungen gemacht«, sieht Pflegedienstleiter Reinhold Brenner den BFD kritisch. Er wünschte sich »zusätzliches Geld und eine klare Entscheidung wegen aller Bedingungen für den BFD«. Angela Boschert

Artikel vom 07.06.2011
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...