Initiativgruppe kümmert sich seit 40 Jahren um Migranten

Zentrum · Daheim fremd?

Hildegard Jacobs, Brigitte Hutterer und Margarete Kiesele (v. l.) von der Initiativgruppe: Seit 40 Jahren kümmert sich die IG um Migranten. 	Foto: scy

Hildegard Jacobs, Brigitte Hutterer und Margarete Kiesele (v. l.) von der Initiativgruppe: Seit 40 Jahren kümmert sich die IG um Migranten. Foto: scy

Zentrum · Udo Jürgens Lied »Griechischer Wein« endet mit der Textzeile: »In dieser Stadt werd’ ich immer einsam sein – und allein«. Der beliebte Schlager beschreibt die Traurigkeit und Verlorenheit griechischer Gastarbeiter, die damals scharenweise in das Wirtschaftswunderland Deutschland kamen.

Ebenso wie Italiener, Spanier und Portugiesen. Bereits im Jahr 1964 wurde der einmillionste Gastarbeiter gezählt. Diese Menschen hatten meistens Kinder, die in einem Land aufwuchsen, deren Sprache sie nicht sprechen konnten. »Plötzlich war ein Problem da, das es vorher nicht gegeben hat«, sagt Hildegard Jacobs von der Initiativgruppe (IG) die junge Migranten betreut. Einige Münchner Eltern aber, deren Kinder mit den Gastarbeiter-Kindern zur Schule gingen, erkannten diese Schwierigkeiten – und blieben nicht tatenlos. Im Jahr 1971 gründeten sie einen Verein, die heutige IG. Ihr Ziel: gleiche Chancen in Schule und Ausbildung für ausländische Kinder. Von Anfang an war der Zulauf rege – und so ist es bis heute, 40 Jahre später, geblieben.

Aktuell kümmern sich um die 250 Ehrenamtliche unermüdlich darum, kulturelle und sprachliche Barrieren abzubauen. »Zu- und Einwanderer brauchen häufig eine Orientierungshilfe, damit sie ihre Kompetenzen in der deutschen Gesellschaft adäquat einbringen und nutzen können«, so Jacobs. Und hier setzt die Tätigkeit der Ehrenamtlichen an. Auf niederschwellige Art und Weise üben sie die Funktion von »Lotsen« in die Gesellschaft aus. Margarete Kiesele ist eine von ihnen. Die 65-Jährige gibt fünf Stunden in der Woche Nachhilfeunterricht. Ihre vier Schützlinge sind zwischen sieben und zwölf Jahre alt und kommen unter anderem aus dem Irak und Afghanistan.

»Früher bin ich viel gereist und habe mich immer gefreut über die unglaubliche Gastfreundschaft in anderen Ländern«, sagt Kiesele. Nun will sie zeigen, dass Migranten »sich bei uns willkommen fühlen dürfen«. Die Eltern würden ihre Arbeit sehr schätzen, wenngleich nicht alle mit ihr an einem Strang ziehen. »Es gibt eben solche und solche. Die einen wollen sich integrieren und tun viel dafür, die anderen haben überhaupt kein Interesse«, erzählt Kiesele. Das natürlich wirke sich auf die Fortschritte der Kinder aus. »Je heimischer sich die Eltern in Deutschland fühlen, desto schneller lernen die Kinder Deutsch.« Die meisten Kinder wollen mit »ihrer« Margarete jedoch nicht nur pauken, sondern auch spielen. »Die Eltern nehmen sich dafür oft keine Zeit«, sagt die 65-Jährige. Auch sei sie Ansprechpartnerin für die kleinen und großen Problemchen, die der Alltag so mit sich bringt. Und manchmal sogar, so wie neulich, Fitnesstrainerin. »Ich betreue zwei Jungs, zehn und zwölf Jahre alt, die beispielsweise aus der Rückenlage nicht von alleine hoch gekommen sind«, berichtet sie. Und lächelt. »Jetzt klappt’s.«

Die IG ist ein »Erfolgsmodell«, freut sich Brigitte Hutterer, die mit Kollegin Hildegard Jacobs die Ehrenamtlichen betreut. Nachhilfe ist nur ein Zweig des Unternehmens, das inzwischen erheblich gewachsen ist. Die »IG – Interkulturelle Begegnung und Bildung« bietet unter anderem Sprachkurse für Erwachsene, auch in Englisch, und Frauenförderprojekte an. Auch eine Kinderkrippe und Jugendwohngemeinschaft gehören dazu.

Das Angebot der ehrenamtlichen Nachhilfe zählt nach wie vor zu den gefragtesten. Etwa 540 Migranten, Kinder und Erwachsene, nutzen es – und viel mehr hätten Bedarf, die Warteliste ist lang. Und eigentlich wären, anders als im Jahr 2004, wo es nur 76 Ehrenamtliche gab, heute genug Helfer da. Mehr noch haben Interesse. »Wir beobachten, dass die Hilfsbereitschaft größer ist denn je. Immer häufiger bringen sich auch Migranten ein, die schon lange in Deutschland leben und nun selbst helfen wollen«, berichtet Hutterer.

Gelder werden eventuell gekürzt

Doch, Bedarf hin oder her, ein Aufstocken ist momentan nicht drin. Denn nun steht wohl erneut eine Kürzung offizieller Gelder an. Finanziert wird das ehrenamtliche Projekt bislang vom Bayerischen Staatsminsterium für Arbeit und Sozialordnung mit jährlich 100.000 Euro und der Stadt München mit 25.000 Euro. Dieses Geld fließt unter anderem in die Fortbildungen der Ehrenamtlichen, in Aufwandsentschädigungen, Verwaltungs- und Materialkosten und in die Gehälter von Jacobs und Hutterer – für die Koordination der ehrenamtlichen Arbeit stehen zwei halbe Stellen und elf Wochenstunden zur Verfügung. Doch bereits in diesem Jahr kürzte das Ministerium den Zuschuss um 15 Prozent.

»Wir wollen andere Schwerpunkte im Integrationsbereich setzen«, begründet Ministerin Christine Haderthauer die Entscheidung. »Mit niederschwelligen und präventiven Maßnahmen wollen wir noch stärker integrationsferne Milieus erreichen.« Hildegard Jacobs blickt sorgenvoll in die Zukunft. »Wir befürchten weitere Kürzungen. Möglicherweise kommt es im nächsten Jahr noch schlimmer.« Das Aus nach 40 Jahren? »Diese Sache darf nicht sterben«, sagt Jacobs entschlossen. Weitere Informationen im Internet unter www.initiativgruppe.de.

Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 07.06.2011
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