„Da schau her!“ Albrecht Ackerland zum Münchner Samstagsblatt

München · Zum Thema: Über die neue Lust am Grün

München · Der Ton macht die Musik – hat der Bertl gesagt, nachdem er sich die letzte Gabel von seinem Krautsalat reingeschoben hatte. Es ist neuerdings eine Seltenheit: Der Bertl isst auswärts. Denn seitdem er mitbekommen hat, dass es wahnsinnig modern ist, einen kleinen Garten zu pflegen und sein eigenes Gemüse anzubauen, macht er das auch.

Er hatte Glück, denn so leicht kommt man an eine jener günstigen Anbauflächen eigentlich nicht ran, aber es begab sich, dass seine alte Tante Traudl ihren Kleingarten abgeben musste, die künstliche Hüfte, die Arthrose, das Rheuma, der ganz Schmarrn halt, der so vermehrt über einen hereinbricht, wenn er langsam die Hundert riecht. Vergönnt und noch weniger zugetraut hat die Traudl dem Bertl den Garten ja nicht, aber „bevor da irgend so ein Dahergelaufener...“ hat sie dann doch lieber ihre Jahrtausende alten Kontakte zum Gartenverein genützt, um ihr Garterl weiterzuvererben, obwohl die Vorschriften das nun gar nicht zulassen.

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Jetzt ist der Bertl Trendgärtner und schwört auf die Selbstversorgung. Und hasst die Gemeine Wegschnecke. Zwei Dinge, von denen er noch vor wenigen Jahren einen Vogel bekommen hätte vor Langeweile, oder einen solchen mir gezeigt hätte, wäre meine Prophezeiung über seine Zukunft nur in eine leicht grüne Richtung gegangen.

Heute muss man ihn also zwingen, ein Fremdkraut zu essen, und das gelingt dann eigentlich auch nur, wenn ich ihm die Idee schmackhaft mache, dass er so ja erst merkt, was er sonst hat. Ein Kraut nämlich, so sieht's der Bertl, das nicht bläht. Hingegen der Wirtshauskrautsalat eine Musik macht. Vollends angedeihen dafür ließ ich meinem lieben Freund an diesem Abend die traurige aktuelle, wahre Geschichte von chinesischen Bauern, die dermaßen viel Wachstumschemie über ihre Existenz ausgeschüttet haben, dass ihnen die Wassermelonen buchstäblich um die Ohren flogen. Die pure Entfremdung von allem Natürlichen.

Ja, hat der Bertl gesagt, das wundere ihn nicht, Pflanzenbau ist wie Jazz, wie eine Musik, die ein Gefühl braucht, die nicht nach einem einfachen Muster funktioniert. Da fielen mir zwei Schuppen von den Augen. Eine für den Bertl, nämlich die, dass der Gute dank der Traudl ihrem Garten auf einmal eine Gedankenwelt ergründet, die ich längst im Weißbier ersoffen sah. Die größere der beiden Schuppen war aber die, dass ich nun endlich verstehe, warum zum Himmel der wichtigste lebende deutsche Jazzmusiker einst als Gärtner gearbeitet hat: Helge Schneider nämlich. Mein voller Ernst. Als Dank für die Erkenntnis lade ich den Bertl zum Schneider ein – Circus Krone, am Sonntag, live eine ähnliche Bereicherung wie eine blühende Passionsblume.

Artikel vom 19.05.2011
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