Albrecht Ackerland zum Münchner SamstagsBlatt: Ich vermisse unsere liebe Liberalitas Bavariae

München · Da schau her! Übers Radeln in der Stadt

München · Vielleicht waren das die goldenen Zeiten: Der Jörgl ist mit fünf Weißbier im, Verzeihung, Gesicht auf sein Damenradl gestiegen, bei dem die Vorderbremse vermutlich schon 1972 ihre Backen gelassen hat, beim Vorderlicht hat‘s die Birne spätestens 1981 zerrissen und das Rücklicht fiel einem Vandalen zum Opfer, der zum Zeitpunkt des Geschehens zufällig auch noch Fahrradbesitzer und Fahrer war.

Passiert ist nie was. Halt – g‘schmissen hat‘s ihn dauernd, und allein war er mit dieser Fallsucht nun auch nicht. Die Fahrräder, die ich in meinem Leben schon bewegt habe, zu Uhrzeiten und in Zuständen, die jeder Fähigkeit zur Konzentration spotten, diese Fahrräder dürfte man aus heutiger Sicht getrost „kriminell“ nennen. So wandelt sich das Bewusstsein.

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Heute fahre ich ausnahmslos mit Helm, achte auf funktionierende Beleuchtung, die gar im Stand weiterbrennt, habe einen Klettriemen um das rechte Bein, einen solchen, wie ich ihn noch vor wenigen Jahren als Inbegriff der verkrampften Kleingeistigkeit abgetan hätte. Nun reichen aber drei zerfetzte Hosenbeine, denn auch ich kam irgendwann nicht mehr ohne ein schnelles Rad ohne Schutzbleche aus, schwierig nicht?

Der Begriff dazu ist „Zeitgeist“. Alles passt da rein. Wir radeln schneller. Das verträgt sich offenbar nicht mit Kettenschutz. Vielmehr noch ist es Zeitgeist, den Helm zur Pflicht zu küren. Das beschwippste Fahren zu ächten – ich erinner mich noch gut an die Zeiten, als Polizisten einen regelrecht lobten, wenn man nach dem Biergarten aufs Radl und nicht ins Auto stieg. Heute muss man nach jeder nächtlichen Fahrt damit rechnen, dass einen durch die halbe Stadt unerkannt eine Zivilstreife verfolgt hat, die einen vor der Haustür – als Betthupferl quasi – einer Alkoholkontrolle unterzieht. Gleichzeitig werden der Radlunfälle mit lebensbedrohlichem Ausgang anscheinend mehr, Rowdys bestimmen das Radlwegbild, und ich bin wirklich froh über meinen schicken Helm.

Ich vermisse, wie so oft, unsere liebe Liberalitas Bavariae, und zwar auf allen Seiten. Auf Seiten der kampfbehelmten Radraubritter, die nichts als ihr Recht auf freie Fahrt zu interessieren scheint. Auf Seiten der Vernünftigen, die immerhin nicht Auto fahren nach einem Fußballabend mit Verlängerung. Die aber auch prüfen sollten, ob es in ihrem Zustand nicht besser wäre, sogar als Fußgänger Helm zu tragen und freilich das Radl auch stehen bleiben sollte. Und auf Seiten der Polizei, die sich – alles schon erlebt – an lächerlichen Mängeln am Radl oder am Fahrstil abarbeitet.

Artikel vom 05.05.2011
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