Überweisungs-Panne Hauptthema bei der Bürgerversammlung

Poing · »Fehler passieren«

Sogar der ZDF-Länderspiegel war interessiert daran, wie Bürgermeister Albert Hingerl bei der Bürgerversammlung den Fehler der Verwaltung erklärt.	Foto: sf

Sogar der ZDF-Länderspiegel war interessiert daran, wie Bürgermeister Albert Hingerl bei der Bürgerversammlung den Fehler der Verwaltung erklärt. Foto: sf

Poing · Neun Jahre lang war nichts an die Öffentlichkeit gedrungen, nun ist die Gemeinde Poing ihren Bürgern gegenüber eine Erklärung schuldig, warum sie 300.000 Euro in den Sand gesetzt hat: Wie konnte es passieren, dass 2001 und 2002 fast eine halbe Million Euro versehentlich zweimal an den Bauträger des Seniorenzentrums überwiesen wurde?

Und wieso hat die Gemeinde diese Panne so lange verheimlicht, zumal das Geld offenbar zum größten Teil weg ist, weil der Bauträger mittlerweile insolvent ist? Auf der Bürgerversammlung in der Grundschule an der Karl-Sittler-Straße vergangene Woche legte Bürgermeister Albert Hingerl nun Rechenschaft dazu ab. Dass es zu der Panne gekommen ist, sei eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen, so Hingerl: Umbuchung, Änderung der Zuständigkeiten, Euro-Umstellung, Überlastung und Organisationsmängel. Im Dezember 2001, im Monat vor der Euro-Umstellung, erhielt die Gemeinde zwei Rechnungen in derselben Sache, einmal mit ausgewiesener Umsatzsteuer, einmal ohne, über 486.351,65 DM und 430.757,86 DM, umgerechnet 248.667,65 Euro und 220.243 Euro für das Café und für Zimmer im Seniorenzentrum.

Im Januar 2002 wies der zuständige Sachbearbeiter die Gesamtsumme über 468.910,65 Euro an den Regensburger Generalunternehmer an. »Die zweite Ausfertigung wurde nicht vernichtet, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, ob bei dem Seniorenzentrum ein Betrieb gewerblicher Art vorliegt«, so Hingerl. Zwischen Januar und März 2002 gab es dann eine Änderung der Haushaltsstellen und Umbuchungen der Auszahlungen. Weil die zweite Rechnungsausfertigung noch existierte, ging der Sachbearbeiter davon aus, dass die Rechnungen noch offen seien und überwies im März die beiden Beträge getrennt, »ohne zu merken, dass sie in der Summe denselben Betrag ergaben wie den, den er bereits überwiesen hatte«, erläuterte Hingerl. In der Zeit zwischen der zweiten Überweisung und der Aufdeckung des Fehlers im November 2003 durch den Sachbearbeiter selbst habe es zwei Prüfungen durch externe Stellen gegeben, denen aber auch nichts aufgefallen sei.

»So eine Buchung muss doch mehrere Stellen durchlaufen!«

»Ich verstehe trotzdem nicht, wie das passieren konnte. So eine Buchung muss doch mehrere Stellen durchlaufen«, meldete sich die Poinger Bürgerin Simone Scholz zu Wort. »Das hat sie auch, aber zu keiner Zeit war für diese Personen erkennbar, dass es sich um eine Doppelüberweisung handelte«, verteidigte Hingerl die Verwaltung. Auf die Frage des Poingers Ewald Silberhorn, ob denn jetzt entsprechende Maßnahmen eingeleitet würden, damit solche Fehler nicht mehr passieren, erklärte Hingerl: »Zusammen mit dem kommunalen Prüfungsverband haben wir 15 Punkte eingeführt, die das verhindern sollen. Wir tun unser Bestes, aber ich kann nicht versprechen, dass wir keine Fehler mehr machen. Der Bürger hier im Saal, der nie Fehler macht, soll bitte aufstehen.«

Die Frage nach dem Namen des zuständigen Sachbearbeiters fiel zwar nicht direkt, aber Ewald Silberhorn stellte fest: »Es ist beachtlich, dass sich der Name noch nicht herumgesprochen hat. Und spätestens nach Bekanntwerden der Insolvenz des Bauträgers hätten die Bürger informiert werden müssen!« Hingerl betonte, dass der Name niemals öffentlich genannt werden würde. »Es gibt etwa 150 Personen, die ihn kennen, aber der Prüfungsbericht des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbands hat ergeben, dass er nicht vorsätzlich gehandelt hat, und er selbst hat ja den Fehler auch gemeldet. Es gibt keinen Grund den Namen zu sagen«, so Hingerl.

»Kriminell hat der Bauträger gehandelt.«

Der Respekt vor seinem Handeln sei einer der Gründe, warum die Sache nicht öffentlich gemacht wurde und tatsächlich über zwei Gemeinderatswahlen hinweg im Verborgenen geblieben ist, ergänzte Gemeinderat Rainer Koch (SPD). »Von uns wird keiner den Namen hören. Auch wenn ein Mensch einen Fehler macht, hat er es nicht verdient, samt seiner Familie einem Spießroutenlauf ausgesetzt zu werden. Wir übernehmen die politische Verantwortung.«

Der zweite Grund für die Geheimhaltung laut Koch: »Wenn wir einen Staatsanwalt eingeschaltet hätten, hätten wir wahrscheinlich keinen Cent zurück bekommen.« Auch die Dritte Bürgermeisterin Karin Kölln-Höllrigl (FWG) betonte: »Wir sollten nicht den Sachbearbeiter fokussieren, sondern kriminell gehandelt hat der Bauträger, der den Betrag nicht zurückgezahlt hat. Das ist einfach unredlich!« Weitere Wortmeldungen zu dem Thema seitens der Bürger gab es nicht, das Kamerateam des ZDF-Länderspiegels, das eigens angereist war, hatte vielleicht mehr Brisanz erwartet.

Lediglich der Poinger Bürger Andreas Spantig hakte gegen Schluss der Bürgerversammlung noch einmal nach: »Ich bin erstaunt, wie ruhig das hier ist, schließlich ist die Gemeinde wie ein Unternehmen zu betrachten und jedes Unternehmen wäre bei einem solchen Vorgehen pleite gegangen.« Hingerl konterte: »Was wollen Sie? Dass alle nochmal ›Buh‹ rufen? Wir haben alles aufgedeckt, das Buchungssystem ist geändert. Mehr können wir nicht tun!«

Wie hoch der tatsächliche Schaden für die Gemeinde ist kann derzeit noch nicht gesagt werden, da das Insolvenzverfahren des Bauträgers noch nicht abgeschlossen ist. Die Gemeinde hatte zwischenzeitlich 169.550,87 Euro aus dem Privatvermögen des Geschäftsführers erhalten, musste davon jedoch nach einem Urteil des Oberlandesgerichts am 8. April 2011 rund 35.000 Euro wieder zurückgeben. Der Verlust wird zwar der gemeindlichen Vermögensschadensversicherung gemeldet, diese zahlt jedoch erst, wenn der tatsächliche Schaden bekannt ist, also nach Abschluss des Insolvenzverfahrens. Die Versicherungssumme hat die Gemeinde inzwischen erhöht. Sybille Föll

Artikel vom 19.04.2011
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