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Der kleine Geschlechter-Unterschied beim Essen: Lesung
München · Sind Sie WWW oder SOS?
Brust oder Keule? Über den kleinen Unterschied beim Essen haben sich Denis Scheck und Eva Gritzmann ihre Gedanken gemacht. Foto: Thomas Meyer
München · Ist unsere Ernährung wirklich unisex? Der Literaturkritiker Denis Scheck und die Ärztin Eva Gritzmann unternehmen in „Sie & Er: Der kleine Unterschied beim Essen und Trinken“ (Bloomsbury Berlin) einen komischen und lustvoll-lehrreichen Streifzug durch die Esskultur. Am Montag, 11. April, lesen sie daraus im Literaturhaus, Salvatorplatz 1. Beginn ist um 20 Uhr, der Eintritt kostet 8/6 Euro.
Das Münchner SamstagsBlatt sprach mit den beiden Autoren über den kulinarischen Geschlechterunterschied.
Münchner SamstagsBlatt: Wie drückt sich der kulinarische Geschlechterunterschied in ihren Beziehungen aus?
Eva Gritzmann & Denis Scheck: Vor allem haben wir durch unsere Recherchen gelernt, sich vor pauschalen Annahmen über den Geschmack der Geschlechter zu hüten. Zwar kann man kann schon sagen, dass für den Geschmack der Männer in Deutschland immer noch die WWW-Formel gilt - Wurstsalat, Wiener Schnitzel, Weißbier – und Frauenessen sich auf den Nenner SOS bringen lässt -Salat, Obst, Spaghetti-, aber niemand entspricht so ganz der Statistik. Eva Gritzmann liebt nicht nur Fenchelcarpaccio, sondern auch mal einen Wurstsalat, Denis Scheck hingegen wird eher bei Artischocken oder Steinpilzen schwach als bei Schweinshaxen.
Münchner SamstagsBlatt: Was war der Anlass für dieses Buch?
Eva Gritzmann & Denis Scheck: Wir haben dieselbe Schule besucht und kennen uns seit über 30 Jahren. Während dieser Zeit haben wir häufig zusammen gekocht und unzählige Restaurants besucht. Im Grunde ist „Sie & Er“ aufgrund einer Kneipenwette entstanden. Wir wollten einfach wissen, warum auf den Tellern von Frauen häufiger Ziegenkäse und auf den Tellern von Männern häufiger Leberkäse landet. Deshalb haben wir Sterneköche und Hirnforscher danach gefragt, aber auch Metzgerinnen und den Gemüsehändler nebenan. Wenn man die Frage nach den unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten von Mann und Frau als roten Faden nimmt, dann landet man schnell bei damit eng zusammenhängenden Fragen wie: Was macht eigentlich Familie aus? Wie könnte ein ethisch vertretbares Essverhalten aussehen? Was hat Fleischkonsum mit Religion und Herrschaft zu tun?
Münchner SamstagsBlatt: Was wäre Ihr Menüvorschlag für ein romantisches Dinner, das beide Geschlechter verbindet?
Eva Gritzmann & Denis Scheck: Ein Rote-Beete-Apfel-Carpaccio, danach mit Riccotta und Safran gefüllte frittierte Zucchiniblüten, Spargelsalat mit Morcheln, Walderdbeeren mit Waldmeister-Buttermilcheis. Kleine Portionen und der Verzicht auf ein mächtiges Hauptgericht müssten dafür sorgen, dass hinterher ausreichend Lust und Energie für die Liebe zur Verfügung steht. Bei so viel Fleischeslust muss nicht betont werden, dass es ein vegetarisches Menü ist.
Münchner SamstagsBlatt: Herr Scheck, Sie sind Literaturkritiker, was verbindet Essen/Kochen und Literatur?
Denis Scheck: Der Genuss von beidem erfordert eine Art gesteigerter Aufmerksamkeit, den Blick fürs Detail, eine Offenheit. Letztlich läuft alles auf die Fähigkeit hinaus, von sich selbst absehen zu können: einen Moment mal die eigenen Nöte und Kümmernisse zu vergessen, um sich ganz auf das einzulassen, was man auf der gedruckten Seite, auf dem Teller oder im Glas vorfindet. Der Zusammenhang von Fressen und Moral ist nicht erst seit Brecht bekannt. Es ist auf die Dauer sehr schwer, sich für Franz Kafka zu begeistern, ohne einen Widerstand gegen das Quälfleisch der Massentierhaltung zu entwickeln. Für uns sind Bewegungen wie Slow Food, das Nachdenken über Globalisierung und Lebensmittel, das Eintreten für regionale und saisonale Ernährung enorm politisch – genau wie das Lesen eines Gedichts statt immer nur des „Handelblatts“.
Münchner SamstagsBlatt: Wer kocht und wer spült ab/räumt auf?
Eva Gritzmann & Denis Scheck: Das Personal natürlich. Historisch betrachtet, zahlen immer die Armen und Schwachen die Zeche. Unser Buch ist ein Versuch, Misstrauen gegen simple Antworten auf komplizierte Fragen zu wecken. Deshalb propagieren wir das Travestiekochen: sich einfach mal eine Zeit lang so ernähren wie das andere Geschlecht. Eine horizonterweiternde Erfahrung.
Von Michaela Schmid
Artikel vom 07.04.2011Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp
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