Grafinger Stadtarchiv ältestes im Landkreis Ebersberg

Grafing · Verborgene Schätze

Bernhard Schäfer ist seit 2008 Leiter des Grafinger Stadtarchivs. Er sorgt für Ordnung in den Regalen, die sich über zwei Kilometer erstrecken. 	Foto: sf

Bernhard Schäfer ist seit 2008 Leiter des Grafinger Stadtarchivs. Er sorgt für Ordnung in den Regalen, die sich über zwei Kilometer erstrecken. Foto: sf

Grafing · Kein Schild am Eingang der Rathausgasse 1 weist auf seine Existenz hin, und auch der Raum im zweiten Stock ist unscheinbar: Linoleum-Fußboden, links steht ein Holztisch, auf dem sich Bücher stapeln, dahinter in der Ecke ein Schreibtisch mit PC.

Doch eine lange Wand Metalltüren mit Drehkreuzen daran und Rollos, die das Tageslicht nur gedämpft hereinlassen, verraten, dass das hier kein normales Büro ist. Es ist das Archiv der Stadt Grafing, das älteste und bedeutendste im Landkreis Ebersberg, denn seine Bestände reichen bis in das Jahr 1376 zurück. Hinter den Metalltüren mit den Drehkreuzen verbergen sich Regale mit einer Gesamtlänge von insgesamt zwei Kilometern, auf denen die Schriften aus acht Jahrhunderten lagern, die meisten davon in säure- und metallfreien Kartonschüben, damit sie nicht »zerfressen« werden. Und der Bestand wächst stetig. »Meine Kollegen von der Stadtkämmerei unter mir haben schon Angst, dass ihnen eines Tages die Decke auf den Kopf fällt«, sagt Bernhard Schäfer, der seit 2008 das Archiv leitet, schmunzelnd. Aber das sei unwahrscheinlich, der Raum sei auf 500 Kilogramm Traglast pro Quadratmeter ausgelegt. Trotzdem müsse man sich wahrscheinlich irgendwann Gedanken über einen anderen, größeren Standort machen.

Schäfer hat hier in den vergangenen drei Jahren harte Arbeit geleistet. »40 Jahre lang herrschte Stillstand, es wurde gesammelt, aber nichts geordnet.« 1991 ist das Archiv vom Bauhof in die Rathausgasse umgezogen. »Aber erst mit meiner Anstellung begann eine ordnungsgemäße Archivierung«, erzählt der Historiker aus Frauenneuharting.

Generell wehte ab diesem Zeitpunkt ein anderer Wind im Rathaus. Mit Entsetzen entdeckte nämlich Schäfer das historisch bedeutende und gleichzeitig älteste Schriftstück der Gemeinde, die herzögliche Markt-Urkunde mit den beiden schweren Siegeln aus dem Jahr 1376, angepinnt hinter Glas im Sitzungszimmer – ein Frevel laut Schäfer in den Augen eines jeden Archivars. »Die Sonne hatte die Schrift schon gebleicht und durch die Schwere der Siegel hatte sich das Pergament verzogen«, klagt der Historiker. Nun liegt das gute Stück in einem abschließbaren Schrank in einem der hellblauen Spezial-Kartons, bereit, die nächsten acht Jahrhunderte zu überdauern – falls es nicht von dem gleichen Schicksal ereilt wird, wie unzählige andere, wertvolle Dokumente: einer Feuersbrunst. Gleich zweimal fiel die Stadt Grafing und somit das Archiv einer solchen zum Opfer – 1632 und 1766. Einige Bücher konnten aus den Flammen gerettet werden, wie beispielsweise jenes mit Verhörprotokollen aus dem Jahr 1630, dessen dunkle Ränder und Wasserflecken von seiner Geschichte zeugen, oder der dicke Wälzer mit Vormundhinweisen, der vermutlich bei dem Brand 1766 stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Doch eine Restaurierung ist teuer. Erst vergangene Woche bekam Schäfer ein Buch mit Briefprotokollen aus den Jahren 1710 bis 1720 zurück, bei dem für 1.100 Euro fehlende Teile ersetzt worden waren.

Schäfer hat Chronik über Grafing erstellt

Um die Inhalte der Bücher zu erfassen, muss man die altdeutsche Schrift lesen können und auch die Sprache verstehen. Bereits 2003 hat Schäfer eine Chronik der Stadt Grafing erstellt, in denen sich Auszüge finden wie dieser hier: »Anno 1632 als Gustavus Adolphus München occupieret und dessen Trouppen nicht nur bis an den Innstrom, und gegen Tyroll sich extendieret; sondern auch Aybling und Rosenham geprandtschätzet, und zu Ebersberg in denen Pfingstferien unmenschliche Grausamkeiten ausgeübet hatten«.

Ordnen der Dokumente sei nicht so spaßig, aber die Inhalte seien faszinierend und sozialgeschichtlich hochinteressant, sagt der Archivar mit leuchtenden Augen. Am Donnerstag, 31. März, stellt Bernhard Schäfer einige der Dokumente vor, in denen zum einen der während des 30-jährigen Krieges 1632 von den schwedischen Truppen gelegte Marktbrand, zum anderen die 1766 beim Walcherbräu ausgebrochene Feuersbrunst geschildert wird. Der Vortrag findet beim Historischen Stammtisch statt, zu dem sich alle zwei Monate immer am letzten Donnerstag des Monats Geschichtsinteressierte treffen. Beginn ist um 19.30 Uhr im Saal der Gaststätte »Zum Heckerbräu«, Marktplatz 26. Der Grafinger Marktschreiber Michael Dreyer berichtet außerdem über die Folgen der Brandkatastrophe des Jahres 1632.

Alte und jüngere Schriften im Archiv

Doch neben diesen Jahrhunderte alten Schriften befinden sich auch jüngere Dokumente im Archiv. Für Aufsehen sorgte vor Kurzem ein Dokument, aus dem hervorging, dass Hitler und Hindenburg die Ehrenbürgerwürde der Stadt Ebersberg verliehen worden war. Da sich Bernhard Schäfer als Kreisarchivpfleger viel mit der Nazi-Zeit beschäftigt hatte, wusste er, dass auch Elkhofen 1934 Hitler zum Ehrenbürger ernannt hatte. »Und das, obwohl Hitler auf solche Ehrungen gar keinen Wert legte, wie er in einem Schreiben von 1933 deutlich machte«, erzählt Schäfer.

Außerdem befinden sich zum Teil auch Fremdbestände im Archiv wie Zensurbücher aus einer Schule aus dem 19. Jahrhundert, Dokumente aus dem Nachbarort Öxing, der 1933 eingemeindet wurde, die schriftlichen Überlieferungen aus dem Jahr 1953, als Grafing zur Stadt erhoben wurde sowie Akten aus der Zeit der Gebietsreform 1978, als auch Elkhofen, Nettelkofen und Straußdorf eingemeindet wurden.

20 Jahre Zeit zum Sortieren

Und ständig kommen neue Akten aus dem Standesamt oder der Verwaltung hinzu. »Es ist noch längst nicht alles sortiert, aber ich habe ja noch 20 Jahre Zeit«, sagt der Mittvierziger lachend.

Sybille Föll

Artikel vom 29.03.2011
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