Wie Münchner Behinderte von Armut betroffen sind

München · „Sozialhilfe trotz Arbeit“

Oswald Utz veranschaulichte das Problem vieler Behinderter an seiner eigenen Situation. Foto: Michael Nagy/Presseamt München

Oswald Utz veranschaulichte das Problem vieler Behinderter an seiner eigenen Situation. Foto: Michael Nagy/Presseamt München

München · München gilt als vorbildlich in Sachen Behindertenfreundlichkeit: ob Barrierefreiheit, 24-Stunden-Pflege oder Bildungs- und Sportangebote. Trotzdem kann die Stadt eins nicht verhindern, obwohl sie als einzige Großstadt in Deutschland freiwillig den Regelsatz in der Sozialhilfe (SGB XII) auf 384 statt 364 Euro erhöht hat: „Behinderung heißt Armut und Diskriminierung, …

…das ist eine Tatsache, ob man will oder nicht“, erklärte Sozialreferentin Brigitte Meier bei der Präsentation der gleichnamigen Broschüre vor wenigen Tagen, mit dem der Behindertenbeirat der Stadt auf ein zunehmendes Problem aufmerksam machen möchte – vor allem die Politik und den Gesetzgeber.

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Die einzelnen Schicksale sind dabei so unterschiedlich wie die Arten der Behinderungen selbst. „Trotz Arbeit und ordentlichem Verdienst bin ich auf Sozialhilfe angewiesen“, berichtet etwa Oswald Utz, Behindertenbeauftragter der Stadt. So gehe es vielen Behinderten, die eigentlich ihren Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen bestreiten könnten. Aufgrund der Schwere ihrer Behinderung benötigen sie Eingliederungsleistungen und/oder Hilfe zur Pflege. So wie Utz: Der Milbertshofener ist selbst schwerst körperbehindert durch Glasknochenkrankheit, hat Pflegestufe III und lebt mit seiner nichtbehinderten Partnerin unter einem Dach. „Zusammen haben wir ein Einkommen in Höhe von etwa 2.700 Euro netto monatlich. Da ich Unterstützung im Alltag benötige, deren Kosten ein solch ,normales‘ Einkommen bei weitem übersteigt, reduziert sich unser Einkommen auf Sozialhilfeniveau.“ Für beide: Denn Ehe- und auch Lebenspartner von Menschen mit Behinderungen sind unterhaltspflichtig und müssen ihr Einkommen und Vermögen zu einem großen Teil zur Unterstützung des behinderten Partners ausgeben.

„Schuld“ sei der gesetzliche Freibetrag von 3.214 Euro: „Wenn Ehe- und Lebenspartner in einer gesicherten Existenz leben und ein Familienmitglied von Behinderung betroffen ist, muss das vorhandene Vermögen bis auf diesen Freibetrag aufgebraucht werden, bevor sie Unterstützung erhalten“, umreisst auch die aktuelle Broschüre das Dilemma. „Ich fordere deshalb, dass die Hilfe zur Pflege nicht vom Einkommen oder Vermögen bestritten werden muss.“ „Das betrifft doch auch die Partner von Pflegebedürftigen und Arbeitslosen“, sagt Susanne Büllesbach, Sprecherin des Bezirks Oberbayern, der auch für alle Behinderten in München und im Landkreis „Hilfe zur Pflege“ und „Eingliederungshilfe“ übernimmt.

Die Unterstützung, eine Form der Sozialhilfe, sei nicht üppig, gibt Büllesbach zu, „wir sind halt an die gesetzlichen Vorgaben gebunden, aber den Begriff Armut weisen wir weit von uns.“ Behinderte Menschen, die auf Hilfe zur Pflege und dafür auf Sozialhilfe angewiesen seien, „sind schlechter gestellt als Hartz IV-Empfänger.“ findet dagegen Utz, die hätten größere Freibeträge.

In München haben rund 115.000 Menschen einen Schwerbehindertenausweis, in Unterschleißheim etwa gibt es ingesamt 2.693 Behinderte bei 27.260 Einwohnern. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein, insbesondere durch die steigende Zahl der Menschen mit psychischen Behinderungen wie Depressionen, so Brigitte Meier. „Behinderung ist keinesfalls ein Nischenthema. Etwa jeder zehnte Deutsche ist schwerbehindert“, sagte Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, bei der Vorstellung der Broschüre. Behinderte seien überdurchschnittlich oft von Armut betroffen: „Im 3. Armutsbericht der Bundesregierung war nachzulesen, dass über ein Drittel der behinderten alleinlebenden Menschen im Alter von 25 bis 45 Jahren ein Haushaltsnetto-Einkommen von unter 700 Euro zur Verfügung hat, während dieser Anteil in der gleichen Altersgruppe der nichtbehinderten Personen nur 19 Prozent beträgt.“

„Die Ursachen für die Armut bei Menschen mit Behinderungen werden schon sehr früh gelegt“, meint Oswald Utz. „Sie gehen in Förderkindergärten, Förderschulen und machen ihre Ausbildung in einem Berufsbildungswerk für Menschen mit Behinderungen. All dies geschieht in der Annahme, dass sie in den Sondereinrichtungen fit für das Leben ,draußen‘ gemacht werden.“ Aber genau das Gegenteil passiere. „Dies ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Grund, weshalb auch die Integration auf dem Arbeitsmarkt so schwer fällt.“

Die Broschüre ist zu beziehen über den Behindertenbeirat der Landeshauptstadt München, Burgstraße 4, 80331 München, oder der E-Mail: behindertenbeirat.soz@muenchen.de. Seit Dienstag ist sie auch online abrufbar unter www.behindertenbeirat-muenchen.de.

Von Michaela Schmid

Artikel vom 24.03.2011
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