Kirchseeoner Verein betreibt ostfriesischen Sport

Kirchseeon · Bayerisch boßeln

Ein Stück Ostfriesland in Bayern: Bei Wind und Wetter werfen die Mitglieder des »Boßelclub Kirchseeon« ihre Kugeln so weit wie möglich.	Foto: Verein

Ein Stück Ostfriesland in Bayern: Bei Wind und Wetter werfen die Mitglieder des »Boßelclub Kirchseeon« ihre Kugeln so weit wie möglich. Foto: Verein

Kirchseeon · Die Grenzen des Weißwurst-Äquators werden immer durchlässiger. Aus den Regionen nördlich davon erobern nicht nur Menschen die südlichen Gefilde, sondern auch Sitten und Gebräuche – wie zum Beispiel das Boßeln. Als ein ursprünglich jahrhundertealter ostfriesischer Volkssport hat diese Freizeitbeschäftigung nun auch Einzug im Ebersberger Forst gehalten, …

…mit wachsender Begeisterung betrieben von den Mitgliedern und Gästen des »Boßelclub Kirchseeon«. Boßeln könnte man als Mischung aus Wandern, Kegeln und Schatzsuche bezeichnen. Die Ausrüstung besteht aus Klooten (plattdeutsch für Kugeln) und einem Klootsoeker (Kugelsucher, auch Kraber genannt). Die Kugel, die aus Pockholz (auch Guajakholz genannt, aus einem immergrünen Laubbaum, in Süd- und Mittelamerika beheimatet), Gummi oder Kunststoff besteht, muss auf einer vorab festgelegten Strecke mit so wenig Würfen wie möglich ans Ziel befördert werden. Die vorherrschende Wurfform ist der »Kegelschlag«. Es wird also die Wurfhand so geführt, wie es auch beim Kegelsport der Fall ist. Dazu nimmt man Anlauf, um mit viel Schwung und Kraft durch Umsetzung der Bein- und Armarbeit die Kugel in Wurfrichtung befördern zu können. Landet sie im Gebüsch oder in Disteln, kommt der Kraber zum Einsatz, ein Korb mit Stiel, ähnlich dem Kescher, mit dem man Fische aus dem Aquarium holt.

Das Boßelspiel, wie es heute auf friesischen Landstraßen gespielt wird, ist vermutlich aus dem so genannten »Lehmkugelwerfen« entwickelt worden. Lehm wurde zu einer Kugel geformt und getrocknet. Mit dieser warf man ins freie Feld. So entstand das heutige »Klootschießen«. Daraus wiederum entwickelte sich das »Straßenboßeln«. Niederländische Deichbauer führten die Sportart im 17. Jahrhundert in Schleswig-Holstein ein. In Ostfriesland ist Klootschießen erstmals im 18. Jahrhundert urkundlich nachgewiesen, war dort aber vermutlich schon früher bekannt. »Die Variante des Straßenboßelns haben wir größtenteils übernommen. Nur können wir in Bayern nicht ganze Straßenzüge absperren und deswegen sind wir auf Forst- und Feldwege ausgewichen«, erklärt Michael Stengert, Vorsitzender des Boßelclub Kirchseeon. Hier sind die Boßler, die aus Kirchseeon, Grafing und München kommen, zweimal im Jahr unterwegs – zum Sommer- und zum Winterboßeln. Beim diesjährigen Winterboßeln im Februar konnte sich der Verein, der seit 2007 besteht und mittlerweile 36 Mitglieder zählt, dank zahlreicher Gäste über eine Rekordbeteiligung von 60 Teilnehmern freuen.

Im Schlepptau einen Bollerwagen, in dem Kugeln, Kraber, Tücher zum Abwischen der Kugeln, feste und ­flüssige Verpflegung und je nach Wetter – Regenjacken oder überflüssige Wollpullover untergebracht werden, ziehen die Boßler drei bis vier Stunden durch den Wald. Die kürzere Strecke für nicht ganz so sportliche Teilnehmer beträgt drei Kilometer, die längere Variante fünf bis sechs Kilometer. Meist zwei Mannschaften mit je vier bis sechs Werfern spielen nach einem Punktsystem gegeneinander, ähnlich wie beim Boule. Eine Mannschaft erhält einen Punkt (Shöt), wenn sie mit einem kompletten Wurf der gegnerischen Mannschaft voraus ist. Am Ende des Wettbewerbs gibt es ein geselliges Beisammensein und in Kirchseeon seit diesem Winter auch Medaillen für die Siegermannschaften. »Früher haben wir den Siegern nur eine Flasche Sekt oder ähnliches überreicht«, erzählt Michael Stengert.

1997 waren er und seine Frau Gabi mit einer Reiterclique von einem norddeutschen Reiterfreund zum Boßeln eingeladen worden, damals in Ottobrunn. Anschließend gab es Grünkohlessen im Sportlerheim. »Das hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir bald die erste Boßelveranstaltung in unserem Reitstall im Münchner Süden organisiert haben und 2005 dann in Kirchseeon.« Am 26. Juli 2007 wurde schließlich der »Boßelclub Kirchseeon« gegründet. Die nächste große Boßelveranstaltung ist am Samstag, 7. Mai, in Österreich. Dort haben die Kirchseeoner eine Freundschaft zu Boßlern in Scheffau aufgebaut, mit denen sie sich zwei Mal pro Jahr treffen. Ein wahrlich großes Event, wenn man Rückschlüsse auf den Namen der österreichischen Freunde ziehen darf, denn die nennen sich »Extrem-Boßler«.

Weitere Infos und Links zum Boßeln findet man auf www.bosselclub.de

Sybille Föll

Artikel vom 22.03.2011
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