JAA-Stories: Junge Straftäter stellen Werke in der Glocke aus

Zentrum · Kunst hinter Gittern

Helga Peter hat jugendliche Straftäter begeistert, Collagen anzufertigen. Das Ergebnis ist als Ausstellung noch bis 28. Februar in der Glocke zu sehen. 	F. scy

Helga Peter hat jugendliche Straftäter begeistert, Collagen anzufertigen. Das Ergebnis ist als Ausstellung noch bis 28. Februar in der Glocke zu sehen. F. scy

Zentrum · Ein kleines Mädchen. Eine Geburtstagstorte. Die Mama ist auch da. Aber wo ist der Papa? Der kommt heute nicht. Und morgen auch nicht. Denn der Papa sitzt im Gefängnis. Genauer gesagt, in der Jugendarrestanstalt (JAA) München. Er ist noch minderjährig. Und er hat, wie er da so hinter Gittern sitzt, Sehnsucht, vor allem nach seiner jungen Familie:

»Ich vermisse meine Freundin und mein Kind.« Er mag nichts wie raus hier. »Verrückt nach Freiheit«, nennt er das. Denn das Eingesperrtsein, das tue »weh ohne Grenzen«. Seine Emotionen, die Wut, die Traurigkeit, all das hat er in einer Collage verarbeitet. Es ist eine von zwölf Text-Bild-Collagen, die aktuell im Café der Glockenbachwerkstatt ausgestellt sind. Unter dem Titel »JAA-Stories« geben junge Männer Einblick in ihre Gedanken, Gefühle und Probleme während ihrer Zeit im Arrest. »Ich war auf der schiefen Bahn, ab jetzt ist Feierabend«, ist auf einer der Collagen zu lesen. Gedruckte Buchstaben, ausgeschnitten aus einer Zeitschrift. Viele haben Fotos aufgeklebt. Bilder von Strand, Palmen und dem Meer. Bilder von Menschen, die ihre Zunge rausstrecken. Bilder von einem Offizier mit Hundekopf. Biografisches wird angedeutet: »Mit 14 Jahren im Knast. Saufen. Rauchen. Klare Ansage.« Hoffnungen werden formuliert: »Neues Leben und raus aus der Sucht. So könnte es sein. Doch der Weg ist nicht leicht.«

Die Collagen sind im Jahre 2010 entstanden. Initiiert durch »MIJA – Medienprojekt im Jugendarrest«. MIJA besteht seit dem Sommersemester 2008, eine Kooperation der JAA München und der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München. Das Konzept: Studierende betreuen jugendliche Straftäter in künstlerischen Projekten. Neben Bildende Kunst gibt es unter anderem auch Angebote für Musik und Tanz.

»Der meist geringe Altersunterschied zwischen Arrestanten und Studierenden schafft einen vertrauensvollen Begegnungsraum«, sagt Dozent Andreas Panitz. Die künstlerisch-kreativen Gruppenangebote sollen, so Panitz, an den Interessen der jungen Menschen anknüpfen. Ihre Erfahrungen würden als Ressource und Ausdrucksmittel nutzbar gemacht. »Wir haben uns gefragt: Wie erreicht man junge Menschen, die sich von der Gesellschaft abgelehnt fühlen und sich selbst oft nicht viel zutrauen?«, sagt der Sozialpädagoge. Helga Peter ist eine von sieben Studierenden, die über mehrere Wochen, jeweils an einem Freitagvormittag, in die JAA gekommen sind, um die jugendlichen Straftäter für Collagearbeiten zu begeistern. Nicht jeder aber konnte sich sofort für das Vorhaben erwärmen. »Manche haben sich schwer getan«, erzählt die 31-Jährige. »Sie saßen erstmal eine halbe Stunde da und sagten: ›Ich hab keine Ahnung, was ich kleben soll‹.« Andere hätten nicht lange gezögert. »Einer hatte sogar einen Zettel dabei. Er hatte viele Ideen und sich bereits Notizen gemacht«, so die Studierende. »Er meinte: ›Gebt mir ‘nen Kleber. Ich will sofort anfangen‹.«

Zum Straftäter abgestempelt

Drogenmissbrauch, Körperverletzung, Fahren ohne Führerschein – in vielen Lebensläufen der jungen Männer finden sich diese Delikte. Und schnell, das zeigt die Erfahrung, ist einer zum Straftäter abgestempelt und wird nur noch durch diese Brille betrachtet. »Wichtig ist aber, immer erstmal den Menschen zu sehen«, sagt Helga Peter. Die Collagen seien ein Weg, um diesen Menschen näher zu kommen. Sie geben erste Antworten auf die Fragen: »Was ist das für ein Mensch? Was beschäftigt ihn? Was steckt in ihm? Was ist sein Potenzial?« Einer, erzählt Helga Peter, habe sie mal gefragt: »Hey, warum macht ihr das eigentlich? Ich wüsste was Besseres anzufangen mit meiner Zeit als mit Arrestanten Bildchen aufzukleben.« Später aber sei er wieder gekommen und habe gesagt: »Respekt. Ich finde das toll, was ihr da macht.« Einen anderen schönen Moment erlebte die Studierende mit einem Jugendlichen, der zwei Mal mitgemacht hat. Beim ersten Treffen habe der das Kleben »total blöd« gefunden. Dann aber, beim zweiten Treffen, hat er gesagt: »Ich bin durch die Collagearbeit endlich mal richtig ins Nachdenken gekommen. Ich möchte mein Leben ändern.« Während Helga Peter erzählt, leuchten ihre Augen: »Ich freue mich, wenn wir den Jugendlichen Mut machen können. Es tut ihnen gut, wenn andere an sie glauben.«

JAA-Stories als Buch

Insgesamt 90 Collagen sind während des Projekts entstanden. Sie sollen demnächst in einem Buch veröffentlicht werden. Die Ausstellung »JAA-Stories« in der Glockenbachwerkstatt, Blumenstraße 7, dauert noch bis zum 28. Februar. Sie ist täglich geöffnet von 17 bis 23 Uhr. Der Eintritt zur Ausstellung in der Glocke ist frei. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 22.02.2011
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