Gemeinde Ottobrunn nicht in Sippenhaft nehmen

Ottobrunn · Kein Brief an Cortona

Ottobrunn · Der Fall Josef Scheungraber geht in die nächste – und womöglich letzte Runde: Ein weiterer Brief an die Stadt Cortona in Italien soll nach dem Willen des Ottobrunner Hauptausschusses nicht verfasst werden. Allerdings kam eine Mehrheit hierfür nur denkbar knapp zustande:

Sechs Ausschussmitglieder – darunter Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) und seine Fraktionskollegen – lehnten den Vorstoß ab, fünf befürworteten ihn. Mit diesem Ergebnis verfehlte die Ottobrunner SPD ihr Ziel nach einem neuerlichen Versöhnungsaufruf. Bereits ein erster Brief an die toskanische Stadt war unbeantwortet geblieben.

Die Sozialdemokraten sehen das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien durch die Taten des nunmehr rechtskräftig wegen Kriegsverbrechen verurteilten, 92-jährigen Ottobrunners beschädigt. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte einen Antrag Scheungrabers auf Revision abgewiesen. Im August 2009 war der ehemalige Wehrmachtsoffizier von einem Münchner Schwurgericht für schuldig befunden worden, im Juni 1944 in einem Weiler bei Cortona italienische Zivilisten aus Rache für einen Partisanenüberfall auf deutsche Soldaten in einem Haus eingesperrt und in die Luft gesprengt zu haben. Angesichts dieser Taten, die nunmehr feststünden, könne man in Ottobrunn nicht einfach zur gewohnten Tagesordnung übergehen, monierte die SPD.

Es solle vielmehr alles unternommen werden, um die Beziehungen zu Cortona zu verbessern. Eben hierfür sei ein neuerlicher Versöhnungsbrief notwendig. In der ersten Fassung des SPD-Schreibens heißt es unter anderem: »Ein für alle schmerzhafter Prozess ist zu Ende. Wir möchten unserer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass mit diesem Ergebnis ein Heilungsprozess in Ihrer Gemeinde einsetzt, bei dem sich die auf so grausame Weise geschlagene Wunde schließen kann.«

Eine zweite, inhaltlich stark gekürzte Fassung lehnte das Gremium ebenfalls ab. So wollte Loderer die Auffassung nicht teilen, wonach die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Italien durch den Fall Scheungraber auf dem Spiel stünden. Kriegsschuldfragen seien längst auf offizieller Ebene bereinigt worden, sagte er mit Blick auf einen Besuch des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau in Rom, wo diese Themen diskutiert wurden. Auch könne man angesichts der Tat eines Einzelnen schwerlich eine ganze Gemeinde in Sippenhaft nehmen: »Ich wüsste nicht, was Ottobrunn der Stadt Cortona angetan hätte, was eine Versöhnung erforderlich machen würde.«

Dieser Appell komme vielmehr einer »Banalisierung von Versöhnung« gleich. Anders sei dies bei jüdischen Familien, die ihre Angehörigen in Auschwitz verloren haben. »Ich kann verstehen, wenn Juden von Deutschen nichts mehr wissen wollen.« Hier sei Versöhnungsarbeit in der Tat eine unerlässliche und dauerhafte Aufgabe. Zudem verwies der Rathauschef darauf, dass der Ältestenrat ohnehin gehandelt und Scheungraber die Bürgermedaille nach dem Verfahrensausgang aberkannt habe.

»Was haben wir, bitte schön, falsch gemacht? Eine Versöhnung braucht einen tatsächlichen Grund«, fasste er zusammen. »Das aber ist eine Banalisierung von Versöhnung«, hob er, an die Adresse der SPD und der Grünen gewandt, noch einmal hervor.

mst

Artikel vom 15.12.2010
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