Suizid: Verein Arche hilft Hinterbliebenen

München · Anker in der Krise

„Wir können mit unserer Arbeit Suizide nicht verhindern“, sagt Vera Käufl, Diplom-Psychologin der Arche. Aber „krisenfähiger“ könne die Beratungsstelle sie machen. Foto: ko

„Wir können mit unserer Arbeit Suizide nicht verhindern“, sagt Vera Käufl, Diplom-Psychologin der Arche. Aber „krisenfähiger“ könne die Beratungsstelle sie machen. Foto: ko

München · Es ist gut ein Jahr her, dass sich Nationaltorwart Robert Enke das Leben nahm. Sein Tod hatte europaweit Trauer und Bestürzung ausgelöst. Wie gehen Familienangehörige, Freunde und Bekannte mit einem solchen Schicksalsschlag um? In München kümmert sich der Verein „Die Arche – Suizidprävention und Hilfe in Lebenskrisen“ um die Hinterbliebenen.

Der Suizid naher Angehöriger ist laut Diplom-Psychologin der Arche, Vera Käufl, eine der größten Krisen für die Menschen. Die Zurückgelassenen seien konfrontiert mit Trauer, Wut, Schuld und Scham. Und nicht zuletzt mit „Nachsterben wollen“, sagt Käufl. Für die Hinterbliebenen sei zunächst der Lebenssinn weg, sagt die Psychologin. Diesen könne sie den Menschen auch nicht wiedergeben.

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Aber man könne eventuell einen neuen Lebenssinn entstehen lassen. Käufl und weitere sieben Mitarbeiter der Arche, die aufgrund der hohen Belastung ihrer Tätigkeit alle nur in Teilzeit arbeiten, versuchen, den Hinterbliebenen Möglichkeiten für einen alternativen Lebensweg aufzuzeigen. „Wir können mit unserer Arbeit Suizide nicht verhindern. Wenn jemand fest entschlossen ist, sich das Leben zu nehmen, kann man ihn nicht davon abhalten“, erklärt die Psychologin. Aber „krisenfähiger machen“ könne man die Menschen. Für Käufl ist es eine große Chance, den Menschen, die zu ihr kommen, zu helfen, ihre „riesige Not“ auszuhalten und das „Gefühlswirrwarr“ zu ordnen.

Wie etwa bei einer Familie, in der sich die Mutter das Leben genommen hat. Die 20-jährige Tochter hat die Tote erhängt gefunden. Und danach wie ein Roboter funktioniert, den getrennt lebenden Vater verständigt, alles Nötige für die Bestattung geregelt und sich um ihren 14-jährigen Bruder und die zehn Jahre alte Schwester gekümmert. Dieses Funktionieren direkt in der Krise ist laut Vera Käufl „ganz typisch“ für Hinterbliebene. Die komplette Familie hat hinterher bei der Psychologin Hilfe gesucht. Käufls Arbeit war denn auch erfolgreich. Denn gerade die jüngste Tochter sei suizidgefährdet. „Sie wollte zur Mama“, sagt Käufl. Gemeinsam mit der Zehnjährigen hat sich die Psychologin Rituale überlegt, um diese schwere Zeit zu überstehen. So hat die Kleine ein Mal- und Tagebuch geführt und Kurse in der Schule belegt wie Einradfahren. Jahre später hat die Psychologin erfahren, dass sich der Sohn der Familie positiv über die Unterstützung der Arche geäußert habe, obwohl er erst „keinen Bock auf Psycho“ hatte.

Neben der Trauer belastet Angehörige oft Wut und Scham. Sätze wie „Warum gerade wir?“ oder „Egoistisch, sich einfach davonzustehlen!“ lenken die Wut direkt auf den Verstorbenen und nicht auf das Schicksal oder Gott, wie etwa bei einem Unfall- oder Krebstod. Und tatsächlich stellt ein Suizid laut Vera Käufl eine Tabuverletzung dar. Die eigene Unzulänglichkeit rücke ins Blickfeld. Und Hinterbliebene würden „stellvertretende Scham“ erleben. Der Tote werde nicht selten von der Umwelt als Versager angesehen. Familien würden sich dadurch gebrandmarkt und ausgesetzt fühlen. Derart geächtet, würden manche Angehörige dazu neigen, die Todesart zu verschleiern, was wiederum konstruktive Trauerarbeit erschwere.

Laut Vera Käufl sei die sinkende Zahl von Todesfällen durch Suizid deutschlandweit zwar erfreulich: Sie ist in den vergangenen Jahren unter 10.000 pro Jahr gesunken auf bundesweit unter 9.000 Suizide pro Jahr, davon 200 in München. Dennoch übersteige die Zahl der Suizide immer noch die Zahl von Unfallopfern, AIDS-Toten und Opfern von Gewaltverbrechen zusammengenommen, wenn man dabei die Dunkelziffer außer Acht lässt. In der Arche, die 1969 gegründet wurde, erwartet Hilfesuchende ein Angebot für Menschen in Lebenskrisen, bei Suizidgefährdung und nach einem Suizidversuch. Außerdem berät sie Menschen aus dem Umfeld von Suizidgefährdeten sowie Hinterbliebene, die in ihrem Umfeld von einem Suizid betroffen sind. Sie alle können erst einmal anrufen, unter Tel. 33 40 41, und schildern, wie sie Unterstützung benötigen. Je nach Dringlichkeit ist es möglich, eventuell auch gleich einen Gesprächstermin zu bekommen. Die Hilfe der Arche ist anonym und das „interdisziplinäre Team“, bestehend aus Ärzten, Diplom-Psychologen und Diplom-Sozialpädagogen, die alle eine therapeutische Zusatzausbildung absolviert haben, unterliegt der Schweigepflicht.

Weitere Informationen gibt es auch im Internet unter www.die-arche.de. Momentan ist der Verein noch in der Schwabinger Viktoriastraße 9 angesiedelt. Von 10. bis 15. Dezember zieht die Arche um und ist in dieser Zeit nicht erreichbar. Ab Donnerstag, 16. Dezember können sich Hilfesuchende an die Arche in den neuen Räumen an der Saarstraße 5, ebenfalls in Schwabing, wenden, die Telefonnummer bleibt gleich. Von Kirsten Ossoinig

Artikel vom 18.11.2010
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