Eltern wollen schlechte Lehrsituation nicht mehr hinnehmen

München/Haar · Mehr Lehrer nötig

Die Elternbeiratsvorsitzende Gabi Helfrich sammelte an der Jagdfeldschule Unterschriften für eine Petition an den Landtag.	Foto: Rammelsberger

Die Elternbeiratsvorsitzende Gabi Helfrich sammelte an der Jagdfeldschule Unterschriften für eine Petition an den Landtag. Foto: Rammelsberger

München/Haar · Aufschrei an der Haarer Grundschule am Jagdfeldring: In einem geharnischten Brief an den Petitionsausschuss im Bayerischen Landtag fordern 250 Eltern kleinere Klassen und mehr Lehrer für ihre Kinder. Der Grund ist in dem Schreiben in einem Satz kurz und bündig zusammengefasst: »Wird ein Lehrkörper unerwartet krank, bricht das System zusammen.«

Beispiele aus der Argumentationskette: »Im letzten Schuljahr fielen durch übernommene Vertretungsstunden für erkrankte Lehrerinnen Förderstunden komplett aus oder mussten deutlich reduziert werden, Lehrer mussten parallel in zwei Klassen unterrichten, so dass nur ein Notprogramm durchgeführt werden konnte.« Die Folge der Doppelbelastungen sei, dass die Zahl der Krankheitsfälle unter der Lehrerschaft weiter zunehme.

Die Unterzeichner des Bittantrags an die Politiker halten nicht hinterm Berg. Schon die Einleitung ist forsch formuliert: »Es ist Finanzkrise und unser Land muss sparen. Alle müssen jetzt zurückstecken – Mamas, Papas, Omas, Opas, Kinder. Auch die Kinder. Der Freistaat will ja bei der Bildung sparen. Bildung als Luxusgut! Keine zusätzlichen Lehrerstellen mehr! Aber wo steht ein Land in 20 Jahren, wenn seine Kinder nicht mehr lernen können?«

Zur täglichen Praxis an der Haarer Grundschule heißt es: »Im Frühjahr hatte eine Klasse der Dritten Jahrgangsstufe den krankheitsbedingten Ausfall ihrer Klassenlehrerin über zwei Monate zu beklagen. Da das Schulamt auch über seine Mobile Reserve keinen Ersatz zur Verfügung stellte, mussten 29 Kinder wochenlang ungeregelten Unterricht hinnehmen(...) In ihrer Verzweiflung griffen die Eltern zur Selbsthilfe und organisierten eine pensionierte Lehrkraft. Orientierungshilfe lieferte den Eltern nur der inzwischen bayernweit bekannte Fall der Grundschule in Gmund, die sich ebenfalls selbst mit Pensionisten beholfen hatte. Sieht so unser Schulsystem der Zukunft aus? Hilf’ dir selbst, dann hilft dir Gott?«

Ehe es zu dem Massenprotest gekommen war, suchten die Eltern nach Auswegen, wie es in der Petition heißt: »Vonseiten des Kultusministeriums war in oben beschriebener Akutsituation immer nur zu hören: ›Wir sind nicht zuständig!‹ Das Schulamt ließ verlauten, man habe kein Personal zur Verfügung, da unerwartet viele Lehrerinnen schwanger geworden seien – und überhaupt sei die Situation nun mal so. Und die Schule sagte: ›Uns sind die Hände gebunden; wir hätten zwar Teilzeitkräfte zur Verfügung, aber die dürfen halt nicht mehr arbeiten.‹ Gleich zu Beginn dieses Schuljahres wurden an der Jagdfeldschule erneut fast alle Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag wie Theater und Schülerzeitung gestrichen. Die Kinder weinten! Aber zählt das?« Ist die Situation an der Jagdfeldschule nun ein Einzelfall oder nimmt der Notstand im Münchner Osten bereits größere Ausmaße an? Verantwortliche von Grundschulen – im Umkreis gibt es mehr als ein Dutzend – beziehen Stellung.

Die Rektorin der Grundschule in Haar Monika Modrow-Lange kennt zwar den Inhalt des Schreibens, hat dieses selbst aber nicht erhalten. »Ich bin nicht sonderlich glücklich ob der Petition, denn es kommt ja sicherlich von oben nach unten zurück.«, befürchtet sie, erklärt aber zugleich: »Wir haben dem Schulamt eine Aufstellung der ausgefallenen Unterrichtsstunden geschickt, wir scheinen aber im Schnitt der bayerischen Schulen zu liegen. Das Schulamt teilt uns Mobile Reserven zu, wenn welche vorhanden sind. Grundsätzlich sehe ich aber keine extreme Ausnahmesituation.« Zum Personalausfall wegen Schwangerschaft erklärt Modrow-Lange: »Das war aus schulischer Sicht ein Zusammentreffen äußerst unglücklicher Umstände, wenn eine Kollegin unmittelbar zu Schuljahresbeginn erfährt, dass sie ein Kind erwartet.«

Arbeitsüberlastung nach den Herbstferien oder Sanktionsfurcht vor der Obrigkeit? Von sieben Grundschulen in Trudering bezog nur eine Verantwortliche Stellung. Gisela Schäfer von der Schule an der Lehrer-Wirth-Straße 31: »Die Lage ist bei uns nicht problematisch, wir sind gut mit Lehrkräften versorgt. Ausfälle lassen sich abdecken, das läuft ganz gut. Gibt’s jedoch eine Grippewelle, wird’s relativ knapp.«

»Wir sind personell – bis jetzt – gut aufgestellt und werden bei Krankheitsfällen vom Schulamt im Rahmen der zur Verfügung stehenden Kapazitäten versorgt.«, erläutert Rektorin Susanne Anderl-Schottner die Situation an der GS Wendelsteinstraße in Vaterstetten. Die Petition kennt sie nicht, betont aber, dass bei Engpässen das »Schulamt stets um konstruktive schnelle Lösungen zum Wohle der Kinder bemüht ist.«

Auch Rektor Ulrich Feibauer aus Kirchseeon ist die Petition nicht bekannt. »An unserer Schule fehlen keine Lehrkräfte, die durchschnittliche Schülerzahl der 19-klassigen Volksschule beträgt 23. Grundsätzlich ist die Unterrichtsversorgung zufrieden stellend, bei personellen Engpässen werden meist Mobile Reserven gestellt. Für jeden Lehrer im Fall einer Erkrankung einen Reservelehrer bereitzustellen, erscheint nicht sinnvoll,« betont der Schulleiter.

Ganz anders sieht es allerdings in Zorneding aus: »Wir sind personell immer auf Kante genäht. Ich bin seit fast 20 Jahren Schulleiter und kenne das nicht anders. Wird eine Lehrkraft krank, kann man das noch verkraften. Nach dem Modus ›Geteilt durch fünf‹ bei 25 Schülern einer Klasse werden in solch einem Fall fünf Gruppen auf andere Klassen zugeordnet,« erklärt Rektor Winfried Goldner. »Werden zwei oder mehr Lehrerinnen oder Lehrer krank, wird’s echt schwierig, dann müssen wir Stunden abhängen. Wir haben Listen, welche Eltern an welchen Tagen voll berufstätig sind, deren Kinder wir dann betreuen. Das alles ist eine Frage der Logistik«, so Goldner, der über die Haarer Petition Bescheid weiß.

ikb

Artikel vom 09.11.2010
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