Da schau her! Albrecht Ackerland berichtet exklusiv im Münchner SamstagsBlatt

München · Albrecht Ackerland über die Walz

München · Da müssen Sie jetzt durch – es ist Anfang September, es ist ein September, der sich nicht verdient hat, weil sein August eine wahrlich maue Veranstaltung war. Der September lebt von einem feurigen Vormonat. Aber seien Sie zuversichtlich: Der August war und der September wird nicht so schlimm werden, wie: der November.

Es war ein verregneter Novemberabend. Grausig kalt. Nass. Einer dieser Wetterzustände, der einem unter die Kleider kriecht. Ein Zustand, den man gerne einmal vergisst, wenn man im Spätsommer über das Wetter jammert bei immerhin noch knappen 20 Grad und einer Lappalie von einem Nieselregen. Jetzt aber: November. Ich stand an der Bar in einem Münchner Musikclub, der einst bekannt für seine ausgefallenen Konzerte war, aber seine beste Zeit nun doch schon gesehen hatte. Ich bekam noch ein Bier, obwohl es schon haarscharf der Schließung entgegen ging, ein Privileg, das ich vielleicht meinem just gewonnenen Trinkkumpan zu verdanken hatte.

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Neben mir stand ein junger Typ in Schlaghosen aus Cord und einem lustigen Schlapphut mit breiter Krempe. Ich hatte mich aufklären lassen: Er war auf der Walz. Nicht, dass ich nicht auch so erahnen hätte können, was für ein Spießgesell' hier seine Zeit verbringt. Könnte ja sein, dass diese Art von Kleidung einfach der allerletzte Schrei ist im Münchner Nightlife. Aber ich ließ es mir versichern: Ja, Walz.

Es war ein netter Typ, Herkunft: Äppelwoi-Hessen, trinkfreudig, was vielleicht auch daran lag, dass er nicht zahlen musste. Ein junger Mann auf Walz – ja, wer wird denn diese Ehrwürdigkeit in Cord auch noch zahlen lassen!? So scheint's mir, ist die Regel. Auch an einer angesagten Bar.

Das fand ich erfreulich, denn ich bin ein großer Freund von Tradition, obwohl mir der Akt der Walz schon immer suspekt war. Sollen sie doch auf die ganz normale Balz gehen, wie alle anderen auch. Aber ich lag falsch, das lehrte mich mein neuer Freund in Schlagcord. Er war ausgesprochen nett und strahlte so gar nicht die Mitgliedschaft in einem Geheimbund aus. Er wollte nichts weiter, als ein Abenteuer erleben. Dass er nach seinem Gymnasialabbruch Zimmerer gelernt hatte, half ihm freilich dabei. Der Cord, der Hut, die seltsame Aura der Geheimbündlerei waren ihm schnurzegal, er macht das alles einfach mit. Und hatte seine Riesengaudi, von der noch die Enkel etwas hören werden dürfen. In der folgenden Nacht träumte ich von einem Haus, das ich mir am Stadtrand bauen ließ, Alles aus Holz. Bauzeit: mehrere Jahre. Innen hatte ich Teppiche aus Cord. Und alles andere hatten Jungs gebaut, die auf der Walz waren. Ich wohnte bis zu meinem Lebensende dort. Und träumte im Traum tagein, tagaus von der großen, weiten Welt.

Artikel vom 02.09.2010
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