Ära der „Krenweiberl“ jetzt vorbei

Zentrum · Treppe für Treppe

Helga Kraus an ihrem Arbeitsplatz in der Münchner Innenstadt.  Foto: Privat

Helga Kraus an ihrem Arbeitsplatz in der Münchner Innenstadt. Foto: Privat

Zentrum · „Treppe für Treppe“ ist Helga Kraus (70) früher in München mit ihrem Stangenmeerrettich, Kümmel und Majoran hausieren gegangen. Dann hat sie vorm Oberpollinger, später vor Karstadt ihre Ware verkauft. Nun ist die Ära der „Krenweiberl“ zu Ende gegangen.

Helga Kraus, die letzte ihrer Zunft von über 100 in ganz München, hat Tracht und Gewürzkorb zumindest für berufliche Zwecke abgelegt.

Jetzt ist die 70-Jährige also im Ruhestand. Nicht dass sie untätig wäre – es gibt auch daheim im fränkischen Heroldsbach nahe Nürnberg genug im eigenen Haus und Garten zu tun. „Sehnsucht nach München habe ich aber schon“, gesteht Kraus. Von der Zeit als fränkisches „Krenweiberl“ in der Münchner Fußgängerzone bereut sie keinen Tag. „Obwohl ich als junge Frau schon gerne einen anderen Beruf ergriffen hätte“, erinnert sie sich.

Zur Entscheidung welcher es denn werden solle, kam es aber damals 1957 nicht. Denn sie musste ihrer Mutter zur Hand gehen. Musste mit nach München, jeden Montag ging es los, jedes Mal um fünf Uhr früh mit dem Zug. Um den hauseigenen „Kren“, den Meerrettich, der im landwirtschaftlichen Familienbetrieb angebaut wurde, an den Großstadt-Haustüren unter die Leute bringen.

Treppauf, treppab, einen Korb geschultert, den anderen in der Hand, bei Wind und Wetter, Sonne, Regen oder Schnee. Nachdem damals nach und nach immer mehr Frauen einen Beruf ergriffen und somit nicht mehr als Kundschaft zu Hause anzutreffen waren, wurden auch die „Krenweiberl“ sesshaft und bevölkerten die Münchner Innenstadt. „Vor jedem Kaufhaus war eine“, erinnert sich Helga Kraus.

Schon ihre Großmutter war als „Krenweiberl“ unterwegs, die Urgroßeltern haben mit ihrem Meerrettich den Großhandel beliefert. Der „Kren“ wurde auf fränkischem Boden selbst angebaut, „das war eine unheimlich schwere Arbeit“, erzählt die 70-Jährige. Über die Jahre in der Fußgängerzone hat sich Kraus' Sortiment immer weiter gesteigert, es kamen Gewürze, Früchte- und Kräutertees hinzu.

Ab 1972 hatte Helga Kraus dann ihren festen Standplatz beim Oberpollinger an der Neuhauser Straße, vor zirka drei Jahren zog sie mitsamt ihren Gewürzkörben noch einmal um, zum Karstadt am Dom – ihre Kunden blieben ihr treu und folgten ihr. „Nicht ein jedes Kaufhaus hat uns Frauen vor der Tür stehen lassen“, erzählt Kraus. Aber beim Oberpollinger und Karstadt sei es immer gut gewesen.

Wo gerade auch beim Oberpollinger die Kaufhaus interne Informationsstelle eine strategisch wichtige Rolle in Sachen Gewürz-Marketing für Krenweiberl Kraus gespielt hat. Denn viele ihrer Kunden, die für Kraus' Meerrettich von weit her, etwa extra aus Garmisch oder aus dem Allgäu kamen, haben sich vorher an der Oberpollinger-Informationstheke telefonisch bestätigen lassen, dass Helga Kraus auch da sei. Neben den Gewürzinteressenten von weiter her, ist unter Kraus' Stammkunden auch Prominenz gewesen: Christine Neubauer, die Kessler-Zwillinge, Lena Valaitis oder Michaela May zum Beispiel.

Kennen gelernt hat Kraus „auf der Straße“, wie sie sagt, viele. Ihre Kundinnen haben nicht nur Gewürze bei ihr gekauft, sondern oft auch ihr Herz ausgeschüttet. Über Eheprobleme oder Streit mit den Nachbarn etwa. „Frauenprobleme halt“ meint Helga Kraus lakonisch. Der Umgang mit Kunden und Passanten fehlt der 70-Jährigen am meisten. „Daheim mache ich jetzt auch meine Hausarbeit – aber es ist eben nicht die Münchner Fußgängerzone.“ Ohne die „Krenweiberl“ sei die Münchner Einkaufsmeile ja eh „eher uninteressant“.

50 Jahre lang hat Kraus ihre Ware in der Fußgängerzone verkauft. Von den vielen Berufskolleginnen der vergangenen 100 Jahre ist sie nun die letzte, die wie viele andere vor ihr auch, „aus Altersgründen“ gegangen ist. Nachfolgerinnen wird es wohl keine geben. Für junge Frauen kommt laut Helga Kraus eine Tätigkeit als „Krenweiberl“ nicht mehr in Frage. „Die Zeiten haben sich geändert.“

Artikel vom 12.08.2010
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...