Da schau her! Albrecht Ackerland berichtet exklusiv im Münchner SamstagsBlatt über seine eigene Kindergartenzeit

München · Albrecht Ackerland über Kindergärten

München · Zu meiner Zeit war der Kindergarten noch eine kleine Drillanstalt. So habe ich ihn zumindest in Erinnerung. Blockflötenzwang am Dienstag und Donnerstag. Wer zum Tischgebet nicht die Hände in Engelchenmanier faltete, bekam keinen Nachtisch – was im Nachhinein wohl die gesündere Wahl war, bestand doch der Nachtisch regelmäßig aus viel Zucker.

Und gab es Obst, dann wurden Aprikosen, Erdbeeren, Birnen, Bananen einer ordentlichen Bepuderung unterzogen. So war das damals. Und so kam es, dass heute die frommsten und bravsten meiner Mitkindergartenkinder fettleibig sein müssen. Aber das gehört in eine andere Themenschublade.

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Der Kindergarten stand unter strenger Leitung von Schwester Oberin. Wir Kinder gingen davon aus, dass das ihr Name war, so, wie brasilianische Fußballer oft auch nur einen Namen tragen – Lucio, Robinho, Pele. Oberin war steinalt, trug auch im Hochsommer ein langes, schwarzes Gewand, konnte kaum mehr hören, und man durft sie als Kind niemals ansprechen oder ihr auch nur zu nahe kommen. Wir Kinder mussten davon ausgehen, dass sie nichts mehr hasste als Kinder, was aus heutiger Sicht auch schon wieder Respekt verdient: In einem solchen Zustand einen Kindergarten leiten, dass muss die Qual auf Erden sein.

Das Tagesgeschäft übernahm Schwester Simone. Ihre Novizenjahre mussten auch zur Zeit des vorletzten vatikanischen Konzils gewesen sein, ihre harte Prüfung auf Erden hieß „Damenbart“ und der Höhepunkt ihres Lebens kulminierte in den Zeilen: Lass' dich überraschen, schnell kann es geschehen, werden Wunder Wirklichkeit, werden Träume wahr. Rudi Carell kam zu Besuch. Und das Wunder, das ihr geschah, war ein Flug in einem Kleinflugzeug, in dem ihr der Pilot Reinhard Mey über den Bordfunk „Über den Wolken“ vorsang.

Das alles gibt es heute vermutlich nur noch selten: Blockflötenzwang, echten Zucker, herrschsüchtige Nonnen und Rudi Carell, der vorbeischaut. Alles hat seine Zeit. So waren meine Kindergartenjahre durch Angst geprägt. Ich hoffe – und bin mir sicher, dass das heute anders ist, wenn es auch sicher freiere und strengere Einrichtungen gibt. Aber wenn keine Angst und wenig Zwang herrscht: Dann möchte ich sofort wieder Kindergartenkind sein. Diese Unbedarftheit, die man in dieser Zeit leben kann: Die braucht Raum und muss mit anderen Kindern geteilt werden. Dann werden Kindheitserinnerungen irgendwann noch viel schöner sein.

Artikel vom 01.07.2010
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