Kindergarten in Unterföhring – und drumrum

Unterföhring · 30 Jahre Nulltarif

Seit dem Beginn 1972 dabei: Karin Oberle, Leiterin Kindergarten 1, mit  Unterföhrings Bürgermeister Franz Schwarz. Foto: ikb

Seit dem Beginn 1972 dabei: Karin Oberle, Leiterin Kindergarten 1, mit Unterföhrings Bürgermeister Franz Schwarz. Foto: ikb

München/Unterföhring · Lila, Gelb, Rot, Blau, Schwarz und einmal auch Grün lackiert – neben dem Eingang zum Kindergarten 1 an der Blumenstraße in Unterföhring stehen Radl und Roller in Reih und Glied. Im Vorraum hängt ein großer Block: Die Mädchen und Buben haben ihre Tipps zum WM-Spiel Deutschland – den Ländernamen in schwarz-rot-gold geschrieben – gegen England notiert.

Die kleine Emilie war nah dran: 3:1. Drinnen sitzen Kinder an zwei mit Fußballtapeten bezogenen Tischen, „fachsimpeln“ und spielen „Wir-werden-Weltmeister“. Draußen rennen und toben die Kleinen meist johlend quer wie wild durcheinander. Szenen wie sie es in vielen Kindergärten gibt. Der große Unterschied zu anderen Einrichtungen: Das Ganze gibt’ s zum Nulltarif. Die knapp 9400 Einwohner zählende Ort ist bundesweit die einzige Kommune, die seit Jahren den Eltern keine Gebühren abverlangt.

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So etwas muss sich eine Gemeinde leisten können. Jahrzehnte lange kluge Haushaltspolitik machen es möglich. Unterföhring ist heute einer der wichtigsten Medienstandorte Deutschlands mit ARD, ZDF und BR und privaten Fernsehsendern. Dazu kommen namhafte Versicherungskonzerne wie Allianz SE und Swiss Re. Unterföhring hat keinen Cent Schulden, die Rücklagen am Jahresanfang betrugen sage und schreibe 274 Millionen Euro, derzeit entsteht das Bürgerzentrum gegenüber dem Rathaus.

Bürgmeister Franz Schwarz ist sichtlich stolz auf die (stufenweise) Entwicklung: „Nach dem Kindergarten gab’s den Nulltarif für den Hort, ab 2007 für die Krippen. Und das ist etwas ganz Besonderes.“ Rund eine Millionen Euro wendet die Kommune dieses Jahr für die Elternbeiträge auf – weit mehr als 800 Kinder besuchen die fünf Stätten einschließlich der Mittagsbetreuung. Doch auch Unterföhring stößt an seine Grenzen: Für die Krippe mussten ab September 70 Kinder abgelehnt werden – der Bürgermeister sucht händeringend Fachpersonal. Da setzt auch ein Problem ein: „Die hohe Anspruchshaltung vieler Eltern“, so Schwarz. Denn viele Paare sind jetzt natürlich enttäuscht, weil ihr Ansinnen auf einen kostenlosen Krippenplatz abgewiesen wurde.

Angefangen hatte alles vor 30 Jahren. Als im September 1980 die staatlichen Zuschüsse fürs Kindergartenpersonal auf 40 Prozent erhöht, die kommunale Last also ein wenig verringert wurde, hielt der damalige Bürgermeister Ernst Eckhardt die Gelegenheit für günstig, von den bis dahin erhobenen Gebühren wegzukommen. Sozialdemokrat Eckhardt, der sich 1984 nach 32 Jahren als erster Mann des Orts zurückzog, argumentierte damals: „Die Gemeinde unterstützt Sportler und Senioren, gibt Vereinen Geld, schafft einen Treffpunkt für Jugendliche. Nur bei den Kleinkindern, die eigentlich den Bestand der Gemeinschaft sichern, halten wir uns zurück.“

Solche Überlegungen leuchteten den Gemeinderäten ein, sie segneten den Vorstoß des Bürgermeisters ab. Fortan wurden für den Besuch des Kindergartens keine Gebühren mehr erhoben. Unterföhring war die erste Kommune in Deutschland, die den Kindergarten zum Nulltarif bot. Die Belastung des Haushalts machte 1981 genau 269.000 Mark aus. Ein Ehepaar mit zwei Kindern konnte so in drei Jahren rund 6.000 Mark zu sparen.

Doch das eltern- und kinderfreundliche Werk stieß keinesfalls nur auf ungeteilten Beifall. Das Landratsamt München und die Regierung von Oberbayern meldeten „rechtliche Bedenken“ an und empfahlen, die Gebührenfreiheit lieber bleiben zu lassen, sei doch mit einem „erheblichen Anstieg der Anmeldungen zu rechnen und damit mit der Notwendigkeit des Baus neuer Kindergärten.“ Betuchte Eltern befürchteten nach dem Motto „Was nichts kostet, taugt nichts“, soziale Spannungen, sahen Ordnung und Disziplin gefährdet.

129 Mädchen und Buben besuchten damals den Kindergarten an der Blumenstraße; sie wurden von Leiterin Karin Oberle, fünf Erzieherinnen und sechs Hlifskräften betreut. Doch das seinerzeitige „Geschrei“ verstummte bald. Und: Die Elternabende wurden besser besucht, Interesse und aktive Mitarbeit nahmen zu. Noch heute führt Oberle die Einrichtung, die 1972 für ein wenig mehr als eine Millionen Mark erbaut und vor vier Jahren für 700.000 Euro modernisiert wurde. Oberle zur Seite stehen nunmehr 16 Mitarbeiterinnen.

Ein paar Kilometer weiter, im Münchner Stadtteil Oberföhring, gelten die Gebührensätze der Landeshauptstadt. Wer dort mit Jahreseinkünften bis zu 60.000 Euro – wer mehr verdient, muss noch ein wenig mehr berappen – und sein Kind bis zu acht Stunden pro Tag betreuen lässt bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs zwei Jahre lang, zahlt pro Monat 332 Euro, in der gesamten Zeit also 7968 Euro. Folgt anschließend für drei Jahre der Besuch des Kindergartens, sind unter den selben Verdienstvoraussetzungen 36 mal 147 Euro fällig, also 5.292 Euro. Gesamter Gebührenaufwand: mehr als 13.000 Euro; pro Jahr, im Durchschnitt etwa 2.600 Euro.

Im bundesweiten Vergleich müssen Eltern in Kommunen wie Tübingen, Potsdam (beide mit fast 4.000 Euro im Jahr Spitze), Cottbus, Minden oder Duisburg weitaus mehr als in München bezahlen. Es geht aber auch anders: Neun deutsche Städten haben sich Unterföhring zum Vorbild genommen – Düsseldorf, Hanau, Heilbronn, Kaiserslautern, Koblenz, Ludwigsburg, Mainz, Trier und Salzgitter erheben keine Kindergartengebühren mehr.

Von Helmut G. Blessing

Artikel vom 01.07.2010
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