Ein Münchner sagt seine Meinung

Da schau her! Albrecht Ackerland über Hinterhöfe

München · Der Hinterhof ist das Italien des Kenners. Das musste ich leidlich wieder feststellen, als ich im vergangenen Jahr an einem halbverregneten Sommertag durch Schwabing streifte. Ein heikles Pflaster. Ich mag Schwabing nicht besonders, das gebe ich gerne offen zu, alles ein wenig zu bombastisch, zu angekommen, und unter uns: zu brav. Muss man mehr dazu verlieren, als dass unser Ude dort wohnt? Der Mann verkörpert Schwabing, im Guten wie im Schlechten.

So war es also jener Sommersamstag, als ich um den Kaiserplatz schlich, selten verschlägt es mich dort hin, ich meide jede Weißwursteinladung, aber an diesem Tag konnte ich nicht aus. Die Weißwurst war gegessen, das Weißbier um halb eins leer, die Gastgeberin reif für den Mittagschlaf. Mein Glück also, dass gerade Hinterhofflohmarkt war.

Der gewisse Stil: Münchens Hofflohmärkte

Genießen Sie beim Lesen bitte jetzt dieses Wort: Hinterhofflohmarkttage. Hinterhofflohmarkttage also sind Glücksstunden eines jeden Strawanzers. Er kommt an Orte, die er sonst nie sähe, er spricht mit fremden Menschen über Dinge in einer Art, die manchmal wie einem Kunstfilm entlehnt scheinen. Aber zu genau diesem Zeitpunkt ist alles Normalität, es ist ja Hinterhofflohmarkt, der Ausnahmezustand fühlt sich normal an.

Allein schon das ist ja italienisch, und das ist bitteschön ganz ohne Vorurteil der lieben Freunde jenseits des Brenners hingeschrieben: Ich ziehe meinen Hut vor diesen unzähligen kleinen außerordentlichen Unwegbarkeiten, die diese vielen Ecken und wunderschönen Winkel des Landes erst richtig zum Leben erwecken – und damit normal werden lassen.

Ein schlimmes Wort - „normal“. Es hat die „Norm“ in sich, was immer nach Quadratpapier und schließlich Quadratschädel klingt. Aber es kann eben auch sein, dass der Normalzustand einer Region das Gegenteil von „Norm“ darstellt. So habe ich immer wieder Italien auf langen Reisen erlebt. Und, bitte: Das will ich hier als Liebeserklärung gelesen wissen, nicht als Klischeedrescherei auf dem Rücken eines armen Volkes, das aufgrund akuter Bewusstlosigkeit größere Fehler in der Wahlkabine anstellt. Zurück nach Schwabing: Ich finde mich plötzlich wieder in einem Hinterhof, nicht groß, nicht geleckt, nicht spießig, nicht grattlig, nicht verkitscht, nicht puristisch, nicht sauber, nicht poliert. Grün. Und ich bin seltsam glücklich auf einmal. Nicht wegen der seltsamen Nachttischlampe, die ich gerade einer verschrobenen Mittsiebzigerin abkaufe, die vermutlich seit ihrer vorvorletzten Ehe hier wohnt, nein. Wegen des Zweifels in mir: Noch Italien oder schon München?

Artikel vom 08.04.2010
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