Projektarbeit zeigt: In vielen Hauptschülern steckt mehr, als die meisten denken

Lerchenau · Eine Schule, die Mut macht

»Erst lesen, dann Handy einschalten« – Rektor Clemens Hauck ist stolz auf die Broschüre seiner Schüler, die ihm einige Achtklässler gezeigt haben.	 Foto: em

»Erst lesen, dann Handy einschalten« – Rektor Clemens Hauck ist stolz auf die Broschüre seiner Schüler, die ihm einige Achtklässler gezeigt haben. Foto: em

Lerchenau · »Diese Schule macht mir Mut zum Lernen!« Die 14-jährige Franziska, Schülerin der Hauptschule an der Toni-Pfülf-Straße, bekommt keine besseren Noten, weil sie dies sagt. Auch keine anderen Vergünstigungen. Schließlich hat sie auch niemand gebeten, mit der Presse zu sprechen. Sie sagt dies ganz spontan – und mit Nachdruck.

Eigentlich geht es an diesem Dezembertag um eine Broschüre, die die Schüler der achten Klassen selbst für ihre jüngeren Mitschüler erstellt haben. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, sie in den fünften und sechsten Klassen vorzustellen und zu bewerben. Plakate müssen gemacht, das Zusammenspiel als Gruppe geprobt werden. Wer sagt was, wie stellen wir uns auf, was ist, wenn jemand seinen Text vergisst … Teamfähigkeit ist gefragt, Organisation und Selbstbewusstsein. Wer heute das Ergebnis seiner Arbeit gut präsentiert, wird morgen hoffentlich sich selbst gut präsentieren. Wenn es um einen Ausbildungsplatz geht, zum Beispiel.

Auch beim Zusammenstellen der Broschüre gab es ganz neue Lernerfahrungen. »Schöner als normalen Unterricht« fand der 13-jährige Daniel die Zeit der Gruppenarbeit, in der es galt, selbstständig Informationen zu recherchieren, passende Bilder zu finden – und schließlich jeweils einen kleinen Text zu schreiben. Franziska ist begeistert: »Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich das tatsächlich kann, und dass hinterher so ein richtiges Heft dabei rauskommt!« Stolz blättert sie zu ihrem Beitrag über das Recycling von Handys. Und erzählt davon, wieviel Selbstvertrauen sie bei diesem Projekt gewonnen hat – und nicht nur dabei, sondern vor allem durch die Ganztagsbetreuung an der Hauptschule an der Toni-Pfülf-Straße. Da ist Zeit, individueller auf die Schüler einzugehen, auf ihre Bedürfnisse, auf ihre Interessen. »Man kann hingehen und fragen«, sagt Franziska. Jetzt will sie vieles wissen: »Neulich haben wir einen Film nach einem Buch von Otfried Preußler gesehen. Da bin ich neugierig geworden, habe im Internet über den Autor recherchiert. Seitenweise habe ich mir Informationen ausgedruckt – das hätte ich früher nie gemacht!«

Früher, da war sie an einer anderen Hauptschule, hatte nur vormittags Unterricht. Doch dort drohte sie unterzugehen. Sie hat viele Geschwister, daher fand sie auch zu Hause am Nachmittag nicht genug Ruhe. Die richtigen Ansprechpartner sowieso nicht. Daher entschied sie selbst sich für die Hauptschule an der Toni-Pfülf-Straße. »Hier lerne ich leichter«, stellt sie fest.

»Wir wollen, dass bei uns jeder Schüler etwas findet, was er mit Leidenschaft betreibt«, sagt Rektor Clemens Hauck dazu. Als »Arbeitsplatz und Lebensraum« will er die Schule begriffen wissen – mit entsprechendem Verhalten und Auftreten. Die Aussagen von Franziska bestätigen seine positiven Erfahrungen mit dem Ganztagsangebot – und mit dem Lernklima an seiner Schule allgemein: »Hier wollen alle Schüler gute Noten.«

Forderungen nach Abschaffung des Schultyps »Hauptschule« lehnt er ab: »Jeder, der seine Chancen nutzt, hat auch welche«, daran hält er fest.

Und betont das Engagement, mit dem er und seine Mitarbeiter an einer optimalen Betreuung jeder einzelnen Schülerin, jedes einzelnen Schülers arbeiten. Mit Sozialpädagogen arbeite man zusammen und mit der Berufsberatung des Arbeitsamts. Persönlich geht’s zu, bei einer überschaubaren Zahl von 250 Schülern. Außerdem haben die Schüler im Schnitt mindestens 25 Stunden pro Woche bei ihrem Klassenlehrer Unterricht, was Hauck ebenfalls als Vorteil seiner Schulart sieht.

Wie auch die Tatsache, dass er selbst nicht nur als Rektor präsent ist, sondern regelmäßig auch als Lehrer. Er sieht Verbesserungsbedarf, zum Beispiel bei der Lehrerausbildung, die seiner Meinung nach praxisnäher sein sollte. Aber auch finanziell: Dass Hauptschullehrer weniger verdienen als Gymnasial- und Realschullehrer, findet er angesichts der Herausforderung, die die Schulart für Lehrer bedeutet, nicht gerechtfertigt. Unglücklich ist er auch mit Einschnitten wie dem Kappen bezahlter Lehrerstunden für Arbeitsgruppen im Rahmen der Ganztagsbetreuung. Die Liste kann er fortsetzen – doch Hauck wünscht sich Verbesserungen für die Arbeit an seinem Schultyp, nicht dessen Abschaffung. Wenn er interessierten Eltern die Schule als möglichen Ort für ihre Kinder vorstellt, muss er ihnen vor allem eine Sorge nehmen: »Wird denn dann aus dem Kind gar nichts?!« Dann erinnert er daran, dass man es zum Beispiel mit einer handwerklichen Ausbildung in Kombination mit der Berufsschule auch zum Meister bringen könne. »Und die werden gebraucht«, fügt er mit Nachdruck hinzu.

Ein häufiges Problem von Hauptschülern könne allerdings auch die beste Schule nicht vollkommen ausgleichen: »Bildungsgerechtigkeit ist vom familiären Umfeld abhängig«, konstatiert der Rektor – und kann keine Lösung aufzeigen für das Grundproblem des deutschen Schulsystems.

Doch mit Aktionen wie der vom Ökoprojekt Mobilspiel e.V. betreuten Handy-Broschüre will er weiter seinen Schülern gleichzeitig mehr Fachwissen sowie persönliche Schlüsselqualifikationen und praktische Erfolgserlebnisse vermitteln, mit »Schülerfirmen« weiter den Schritt ins »wahre Leben« üben. Die Hauptschule als Schulart wird umstritten bleiben. Der Wert täglicher pädagogischer Arbeit, wie sie an der Toni-Pfülf-Straße geleistet wird, kann hingegen kaum hoch genug eingeschätzt werden. Eva Mäkler

Artikel vom 20.01.2009
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