Albrecht Ackerland über Sechzger

München - „Da schau her“

Soll ich mich jetzt freuen? Vor wenigen Wochen habe ich an dieser Stelle noch durch die Blume einen Abstieg der Löwen beschworen, damit sie endlich wieder im Sechzger spielen dürfen. Oder können. Oder müssen: je nach Sichtweise und Gefühlslage. Wenn der Zirkus so weitergeht an der Grünwalder Straße, dann steigen wohl wirklich bald die Sponsoren aus. Und dann? Kohle weg, Zwangsabstieg. Alles schon erlebt.

Einer, der sich nicht wenigstens im Ansatz auskennt mit dem Karma des TSV München von 1860 e.V., der wundert sich in diesen Tagen vielleicht, dass ein professioneller Fußballclub ein solches Theater aufführt, wie es die Löwen derzeit veranstalten. Nur: die Löwen waren noch nie professionell. Deshalb liebt sie der Münchner auch so.

Vielleicht haben sie das Professionellsein auch einfach verlernt seit 1966. Damals war der Verein tatsächlich einmal deutscher Meister. Auch dafür liebt sie der Münchner und gedenkt der großen blauen Saison. Auch wenn der geneigte Münchner etwa erst 1990 geboren ist: Das Jahr der Meisterschaft beherrscht er im Schlaf.

Ein Roter hat es da schon schwerer. Die ewige Erfolgsmeierei ist mittlerweile langweiliger als jede Stadtratssitzung. Kein Wunder also, dass der Ude nicht zum Wowereit nach Berlin geflogen ist, um sich mit ihm das Pokalendspiel anzuschauen. Kein Wunder, dass der Ude nicht vergangenen Samstag auf dem Rathausbalkon aufgetaucht ist, als die Bayern ihre für Fußballverhältnisse steinalte Meisterschaft gefeiert haben. Ein Ouzo auf Mykonos ist spannender, und trinkt man ein paar mehr von ihm, dann ist das in jedem Fall weniger berechenbar als jeder Saisonausgang des FC Bayern.

Verstehn Sie mich nicht falsch: Hut ab vor der Leistung mancher Spieler des roten Konzerns, ein Hoch auf Olli Kahn und von mir aus auch auf Hitzfeld. Und, ja: Dem Luca Toni schaue ich wirklich gerne zu. Und der Ribéry ist ein Lausbub, fast nach oberbayerischer Machart. Und doch: als Fußballfan muss man leiden. Wann aber hat der Bayernfan zuletzt gelitten? 1966?

Da hat es freilich der Sechzger an sich besser. Sein Leben ist Leiden. Und wenn er auch noch das Glück hat, einen Galgenhumor zu pflegen und vielleicht noch insgeheim das Chaos liebt, dann erlebt er gerade die besten Zeiten: Die Sponsoren drohen zu gehen, der Präsident wird rausgeschmissen, kein Mensch kennt sich mehr aus an der Grünwalder Straße, die Fangruppen sind gespaltener denn je.

Ich brauche keinen Hehl daraus machen, dass ich auf der Seite stehe, die zurück ins Sechzger will. Und um diese Liebe weiter anzuheizen, gehe ich auch heute dorthin. Dort läuft endlich wieder die Aktion XX-Tausend: ein ausverkauftes Sechzger, ein Traum, der wieder einmal wahr wird. Zwar spielen „nur“ die Amateure. Aber die Fans, die zu denen gehen, sind in jedem Fall professionell.

Artikel vom 21.05.2008
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