Wie die Stadt München Kinder schützt, die bei drogenkranken Eltern leben

München - „Man kann nicht hinter jede Haustür schauen“

Das Jugendamt kann ohne konkrete Hinweise nicht hinter verschlossene Türen schauen. Das ist ein Problem, wenn drogenkranke Eltern mit ihren Kindern überfordert sind – und keine Hilfe beantragen. Montage: clash

Das Jugendamt kann ohne konkrete Hinweise nicht hinter verschlossene Türen schauen. Das ist ein Problem, wenn drogenkranke Eltern mit ihren Kindern überfordert sind – und keine Hilfe beantragen. Montage: clash

In Bremen war im Oktober 2006 die Leiche des zweijährigen Kevin im Kühlschrank seines drogensüchtigen Ziehvaters gefunden worden – mit Rippenbrüchen und Verletzungen am Geschlechtsteil, auch muss sein Kopf auf einer harten Fläche aufgeschlagen sein; zudem war Kevin mangelernährt.

Sein Tod war vermutlich eine direkte Folge der Knochenbrüche – und zwar schon Monate vor Entdeckung der Leiche: Kevin muss irgendwann zwischen Ende April und Anfang Mai gestorben sein. Die Geschichte ist ein Skandal – und um so erschütternder, weil Kevin unter Obhut des Jugendamtes stand und der Stadt Bremen schon Monate vorher Hinweise auf die Familie vorgelegen sind. Auch in München, so die Aussage des Sozialreferats von dieser Woche, passieren ähnliche Fälle.

In 1.090 Münchner Haushalten leben Kinder bei drogenkranken oder alkoholsüchtigen Eltern – so die offiziellen Zahlen. Vermutlich aber sind es wesentlich mehr: Denn in der Statistik des Sozialreferats sind nur die Familien erfasst, die Kontakt zu den Behörden haben. Schätzungen zufolge aber lebt sogar jedes achte Kind in einer Suchtfamilie – in München wären dies 23.000 Kinder!

Die Münchner Stadträtin Elisabeth Schmucker (CSU) wollte nun in einer offiziellen Anfrage ans Sozialreferat wissen, ob sich dieser „Fall Kevin“ in München wiederholen könnte. Fabian Riedl, Sprecher der Behörde, sagte gegenüber dem SamstagsBlatt, dass „natürlich alles unternommen“ werde, um solche Gewalttaten zu verhindern – „aber manche Problem-Familien sind den Behörden nicht einmal bekannt“, wie er sagt. „Man kann nicht hinter jede Haustür schauen.“

Daher seine Antwort: Ja, leider kann sich der „Fall Kevin“ auch in München ereignen. Es gab während der vergangenen Jahre sogar diverse ähnliche Fälle in der Stadt: Erst im Herbst, kurz nach Bekanntwerden des Todes des kleinen Kevin, ist ein zweijähriger Münchner Junge von seiner alkoholkranken Mutter lebensbedrohlich mit einem Messer verletzt worden. Seine Familie sei seit Geburt des Buben vom Jugendamt betreut worden. „Dennoch“, so Riedl, „hat es nie zuvor einen Hinweis auf eine Gefährdung des Kindes gegeben.“

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) verkündete inzwischen, dass ihr Ministerium zehn Millionen Euro in ein „Frühwarnsystem“ investieren werde: damit sollen vernachlässige und misshandelte Kinder möglichst früh gefunden und unterstützt werden. Familien, die mit der Erziehung ihres Kindes überfordert seien, sollen im Rahmen von Modellprojekten vor oder spätestens ab der Geburt intensiv begleitet werden. Die Projekte würden mit Ländern und Kommunen entwickelt.

In München dagegen werde längst mit einem „Frühwarnsystem“ gearbeitet. Sozialreferats-Sprecher Riedl hierzu: „Wir sind so früh wie möglich an den Kindern aus problematischen Familien dran.“ Sobald ein Bezirkssozialarbeiter hört oder sieht, dass eine suchtkranke Frau schwanger ist, werde alles unternommen, um das Kind zu schützen: „Gemeinsam mit allen Behörden, die jener Frau unter die Arme greifen könnten, wird nach genauen Richtlinien das weitere Vorgehen bestimmt: die Frau bekommt die Unterstützung, die sie braucht, um das Kind vernünftig großzuziehen.“

Durch regelmäßige Gespräche und Hausbesuche werde beobachtet, ob sich das Familienleben in ordentlichen Bahnen entwickelt, ob man verantworten kann, das Kind weiter in der Familie zu belassen. Das Kindeswohl jedenfalls sei das oberste Prinzip jeglichen Handelns des Jugendamts: „Natürlich nimmt man kein Kind aus Familien, wenn dies nicht nötig ist: die Eltern-Kind-Beziehung ist ein hohes Gut, das wird natürlich respektiert.“ Tragen die Eltern aber nicht dazu bei, die schwierige Situation innerhalb der Familie zu verbessern, greift das Jugendamt schon mal zu gerichtlichen Maßnahmen. Im Extremfall heißt das: die Kinder werden aus den Familien genommen. In München leben rund 500 Kinder drogenabhängiger Eltern in vom Jugendamt betreuten Heimen. Von Nadine Nöhmaier

Grundlage für jegliche Hilfe durch das Jugendamt ist, dass die Problem-Familien bekannt sind: Die Behörden sind schlicht darauf angewiesen, dass sich Menschen, die mit ihren Kindern überfordert sind – oder Menschen, die die gravierenden Probleme anderer Familien mitbekommen – bei ihnen melden. Anlaufstelle für derartige Fälle sind die Münchner Sozialbürgerhäuser, die jeweils für zwei oder mehr Stadtteile zuständig sind. Sie helfen bei sämtlichen Lebenskrisen weiter – oder vermitteln an andere Hilfsinstitutionen. Weitere Informationen hierzu stehen im Internet unter http://www.muenchen.de/sbh. nan

Artikel vom 25.01.2007
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