Mehr Brüssel, mehr Berlin oder mehr Bayern?

Zur Wahl des Europaparlaments am 13. Juni haben wir mit den Münchner Kandidaten von CSU und SPD gesprochen

  • „München als Leuchtturm der Freiheit“

Samstags Blatt: Das Parlament wird erstmals auch in den zehn neuen EU-Staaten gewählt. Doch viele Münchner blicken noch immer mit Skepsis nach Osten. Wo sehen Sie Risiken und Chancen für die Stadt?

Bernd Posselt (CSU): (EU-Kenner der ersten Stunde - Bernd Posselt wurde am 4. Juni 1956 geboren und war in jungen Jahren Mitbegründer der „Schüler Union“ . Nach seiner Schulzeit ging er in den Journalismus und war zwischen 1974 und 1978 Redaktionsvolontär und Redakteur bei den „Badischen Neuesten Nachrichten“. Zwischen 1978 und 1994 arbeitete er als persönlicher Referent des EU-Parlamentariers Otto von Habsburg. Seit 1994 ist Posselt auch selbst Mitglied des Europaparlaments und befasst sich hier vor allem mit Fragen der inneren und äußeren Sicherheit, der Gentechnik und der Osterweiterung. Aufgrund seiner sudetendeutschen Herkunft sieht er Böhmen als Herzen Europas und vertritt die Interessen dieser „Landsmannschaft“ als Bundesvorsitzender. Im August 1989 war er als aktives Mitglied der Paneuropa-Union am „Paneuropa-Picknick“ an der österreichisch-ungarischen Grenze beteiligt, das zur ersten Öffnung des Eisernen Vorhangs führte. Zum dritten Mal in Folge will Bernd Posselt als CSU-Kandidat bei den Europawahlen am 13. Juni wieder EU-Parlamentarier werden.)

Samstags Blatt: Das Parlament wird erstmals auch in den zehn neuen EU-Staaten gewählt. Doch viele Münchner blicken noch immer mit Skepsis nach Osten. Wo sehen Sie Risiken und Chancen für die Stadt?

Bernd Posselt: München hat in diesen Ländern einen ausgezeichneten Ruf, weil in den Jahrzehnten der Unterdrückung von hier aus die beiden großen Freiheitssender Radio Free Europe und Radio Liberty gesendet haben. München war eine Art Leuchtturm der Freiheit. Jetzt sind wir nicht mehr der Rand des organisierten Europas, sondern sein Herz und davon werden wir sehr profitieren in Sachen Messe, Industrie und Verkehrsknotenpunkt, aber auch kulturell und sicherheitspolitisch. Es gibt natürlich auch Probleme, etwa Betriebsabwanderungen, deshalb müssen wir uns fit machen für die Erweiterung: Wir brauchen eine bessere Verkehrsanbindung, etwa die Transversale, die Schnellzugverbindung von Paris über München nach Budapest. Und auch die Bahn- und Straßenverbindungen nach Prag und nach Südosteuropa müssen ausgebaut werden.

Die CSU fährt eine Kampagne gegen den möglichen Beitritt der Türkei. Der stünde in vielleicht zehn, 15 Jahren an. Handelt Ihre Partei hier verantwortungsbewusst?

Der mögliche Beitritt der Türkei ist eine der ganz wichtigen und aktuellen Fragen der EU-Politik. Im Dezember werden die EU-Regierungschefs darüber entscheiden, ob Verhandlungen beginnen. Und ich bin ganz klar gegen Verhandlungen und eine Vollmitgliedschaft, denn die Türkei erfüllt die Aufnahmekriterien noch nicht. Außerdem heizt man den Islamismus an, wenn man Illusionen vorgaukelt, die dann doch nicht in Erfüllung gehen. Und natürlich stellt sich auch die Frage nach den Grenzen Europas und nach kultureller Identität. Die EU ist nicht der Zusammenschluss aller Staaten dieser Erde. Es gibt teileuropäische Länder, die aber trotzdem nicht Teil Europas sind: etwa Israel, Russland, die Magreb-Staaten oder eben auch die Türkei. Mein Weg sind maßgeschneiderte Partnerschaften für diesen Kreis befreundeter Staaten. Teil der EU können nur noch wenige Länder werden – Kroatien, Bulgarien und Rumänien gehören dazu.

Was sagen Sie Bürgern, die die Wahlen zum Europaparlament für unwichtig halten?

EU heißt heute, dass Ausland zum Inland wird. Zwei Drittel unserer Gesetze werden bereits von der EU gemacht und wiederum zwei Drittel davon im Europaparlament maßgeblich mitentschieden, wobei dieses das letzte Wort hat. Wichtig ist auch, dass das Parlament ein kontrollierendes Korrektiv zur EU-Bürokratie ist.

Europa bekommt wahrscheinlich bald eine „Verfassung“. Eine gute?

Im Großen und Ganzen schon, aber es gibt einige Punkte, die nachgebessert werden müssen, etwa im Bereich der kommunalen Daseinsfürsorge und auch eine Liberalisierung der Wasserversorgung wollen wir nicht. Hier werfe ich der Bundesregierung vor, dass sie keine Änderungsanträge gestellt hat.

Sie sind gegen die Trinkwasserliberalisierung durch die EU. SPD und Grüne sehen das ähnlich. Worin unterscheiden sich denn die Parteien?

Zu allererst: Im Europaparlament arbeiten wir zu vielen Themen auch über Fraktions- oder Ländergrenzen hinweg zusammen. Aber es gibt natürlich auch klare Unterschiede. Der Beitritt der Türkei ist ein solcher oder der von uns geforderte Gottesbezug in der Verfassung. Der Wähler soll wählen, wen er will. Aber er soll auch wissen, was die einzelnen Parteien und Abgeordneten vertreten. Das ist im Internet nachzulesen, einschließlich der namentlichen Abstimmungen. Und wenn der Wähler der Meinung ist, der Parlamentarier hat falsch abgestimmt, dann soll er dem Politiker schreiben.

Etwa beim Thema Softwarepatente kochen die Gemüter hoch... ... da haben wir hunderte Briefe bekommen. Ich werde gegen die Vorlage stimmen, wie sie jetzt im Ministerrat beschlossen wurde, weil sie zu stark reglementiert.

Auch das Thema genveränderte Lebensmittel beschäftigt viele Menschen. In dem Punkt bin auch ich ein großer Skeptiker. Ganz verbieten kann man es nicht, um den Forschungsstandort nicht zu gefährden. Aber man muss die Produkte klar kennzeichnen. Diese Pflicht haben wir im EU-Parlament durchgesetzt. Ein Beispiel für die Notwendigkeit dieser Institution. mh / jj

  • „Vereinigte Staaten von Europa“

Wolfgang Kreissl-Dörfler (SPD): (Ein echter Bayer - Am 1. Dezember 1950 wurde Wolfgang Kreissl-Dörfler in Augsburg geboren. Dort besuchte er das Gymnasium und anschließend die Klosterschule der Benediktiner im niederbayerischen Rohr. Mit 16 Jahren begann er eine Lehre als Landwirt. Über den zweiten Bildungsweg machte er später das Abitur nach und studierte in München Sozialpädagogik. 1979 schickte ihn der Deutsche Entwicklungsdienst nach Brasilien. Er wurde Entwicklungshelfer, arbeitete in Deutschland mit Asylsuchenden, leitete ein Projekt für arbeitslose Jugendliche, später ein Reha-Zentrum für Behinderte. Und immer wieder geht er ins Ausland: für die Welthungerhilfe oder als internationaler Wahlbeobachter. Für sein soziales Engagement und seine Arbeit in der „Dritten Welt“ wird Wolfgang Kreissl-Dörfler 2002 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Seit 1994 ist er Abgeordneter im Europaparlament. Ende 2000 wechselte Wolfgang Kreissl-Dörfler von den Grünen zur SPD und wurde bald Sprecher der bayerischen SPD-Abgeordneten. Als bayerischer Spitzenkandidat der SPD will Wolfgang Kreissl-Dörfler bei den Europawahlen am 13. Juni wieder in das Europäische Parlament einziehen. )

SamstagsBlatt: Herr Kreissl-Dörfler, nennen Sie einen guten Grund, am 13. Juni zur Europawahl zu gehen.

Wolfgang Kreissl-Dörfler: Weil Europa mehr als jemals zuvor jeden Einzelnen angeht. Immer mehr Entscheidungen, die uns direkt betreffen, fallen nicht mehr in Berlin oder München, sondern in Brüssel und Straßburg. Und das jetzt zu wählende Europaparlament wird soviel Macht haben wie noch nie: Fast 80 Prozent aller Entscheidungen in der EU bedürfen der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Wer da mit entscheiden will, muss zur Wahl gehen.

Sie treten als bayerischer Spitzenkandidat der SPD mit dem Slogan „Ein Europäer für Bayern“ an.

Ich stehe für ein offenes, fortschrittliches Bayern, das seine Chancen in Europa nutzt. Gerade wir Bayern brauchen auch in Zukunft eher ein Mehr an Europa, um davon wie bisher schon zu profitieren – nicht nur bei den Exporten und im Tourismus.

Die EU macht auch Probleme. Viele Bürger sorgen sich derzeit um das Trinkwasser.

Diese Sorge war und ist zum Teil noch berechtigt. Denn es gibt bei den Großkonzernen Bestrebungen, die Macht der Kommunen in der Trinkwasserversorgung zu brechen: Sie wollen diese lukrativen Aufträge für sich haben. Denn der Wassermarkt in der Europäischen Union umfasst circa 80 Milliarden Euro.

Ganz ehrlich, müssen wir in München Angst um unser gutes Wasser haben?

Wenn es nach der SPD geht, müssen wir keine Angst haben. Wir lehnen eine zwangsweise Privatisierung des Wassermarktes rigoros ab. Unser Trinkwasser muss in der Hand von Städten und Gemeinden bleiben. Wir sagen: Hände weg vom Trinkwasser!

Sie sind seit 10 Jahren Europa-Abgeordneter – aber daneben auch ein sozial engagierter Mensch.

Schon immer. Ich kümmere mich um die Tochter eines Freundes, der querschnittsgelähmt ist, und engagiere mich für bedrohte Völker. Ich habe vor, in zwei Jahren eine Stiftung zu gründen und damit gezielt Projekte für Kinder und Jugendliche zu unterstützen. Ich mache das einfach gerne – soweit mir Zeit dafür bleibt.

Die größere EU bringt Ihnen noch mehr Arbeit und mehr Probleme.

Die Probleme gibt es seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, den wir alle begrüßt haben. Wir beginnen jetzt, diese Probleme in einer gemeinsamen Union zu lösen.

Manche sehen ein Gespenst am Bosporus: die Türkei. Für wie gefährlich hält der Europäer Kreissl-Dörfler das Gespenst?

Ich sehe da weder ein Gespenst noch eine Gefahr. Auch wenn sich die Regierungschefs der 25 EU-Staaten entscheiden, mit der Türkei Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, dann werden diese Verhandlungen 10 bis 15 Jahre dauern. Das ist eine langfristige Geschichte – auf jeden Fall kein Thema im nächsten Europaparlament.

Worum geht es dann bei dieser Europawahl?

Es geht um die künftige Ausgestaltung unseres Europas: Wir von der SPD stehen für die gemeinsame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Europa, für gesunde Lebensmittel und sauberes Trinkwasser und für ein starkes Europa als Friedensmacht, das gemeinsam den internationalen Terrorismus bekämpft – und sich auch in Zukunft nicht in militärische Abenteuer wie im Irak treiben lässt. Wir sind auf dem Weg zu den „Vereinigten Staaten von Europa“. Das hat uns in Europa mehr als ein halbes Jahrhundert Frieden gebracht. Das müssen wir vorantreiben und dafür setze ich mich ein. Wer am 13. Juni SPD wählt, stimmt für ein weltoffenes, soziales, ökologisches und friedliches Europa der Bürgerinnen und Bürger.

Sie sind in ganz Bayern unterwegs. Wo kann man Sie das nächste Mal in München erleben?

An den kommenden Samstagen werde ich die vielen Info-Stände der SPD in und um München besuchen. Zum Endspurt bin ich dann ganz in München: am Samstag, den 12. Juni, ab 18 Uhr, auf dem Streetlife-Festival rund ums Siegestor, wo ich mit Kandidaten der anderen Parteien diskutiere. Und natürlich bin ich bei unserer großen Wahlparty im Georg-von-Vollmar-Haus am Oberanger am Abend des 13. Juni, zu der ich alle Münchnerinnen und Münchner schon jetzt ganz herzlich einladen möchte. Bayern-SPD Pressestelle

Artikel vom 28.05.2004
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