Eine ganz besondere WG

Höhenkirchen-Siegertsbrunn · Zukunft trotz Handicap – gelebte Inklusion

Modern, hell und freundlich, so gestaltet sich das Wohnheim für junge Menschen mit Behinderung, die hier in einer WG gemeinsam leben. 	Foto: © ekh. Werbeagentur GbR, München

Modern, hell und freundlich, so gestaltet sich das Wohnheim für junge Menschen mit Behinderung, die hier in einer WG gemeinsam leben. Foto: © ekh. Werbeagentur GbR, München

Höhenkirchen-Siegertsbrunn · »Deine Kinder haben es gut, die können einfach ausziehen, wenn sie das wollen«, sagte vor gut sechs Jahren ihr Neffe zu Andrea Hanisch, CSU-Gemeinderätin in Höhenkirchen-Siegertsbrunn.

Obwohl eigentlich alt genug, war das eine Option, die damals für ihren Neffen noch außerhalb jeder Reichweite lag, denn er wurde mit dem Down-Syndrom geboren. Für junge Behinderte ist das Angebot an Wohnmöglichkeiten außerhalb ihres Elternhauses begrenzt, ein weitgehend eigenständiges Wohnen schier außer jeder Vorstellung. Das kann so nicht bleiben, beschloss Andrea Hanisch und gründete im März 2013 kurzerhand den Verein »Zukunft trotz Handicap«. Und siehe, der Bedarf an derartigen Plätzen war groß, nicht nur bei ihrem Neffen.

Das Ziel des Vereins war der Bau eines eigenen Wohnheims auf dem Terrain der Gemeinde. »Der Weg bis zur Eröffnung war ein langer und eigentlich für uns Vereinsmitglieder fast ein Fulltime-Job, aber es hat sich gelohnt«, strahlt Andrea Hanisch über das gelungene Wohnprojekt. Finanziert wurde es unter anderem durch Kaufanteile der Eltern in Höhe von je rund 100.000 Euro und durch die »Manfred Halbauer Stiftung«, die fünf der 26 Wohnheimplätze finanzierte, damit auch Eltern, die sich nicht in das Projekt einkaufen konnten, eine Chance auf einen Platz für ihre Kinder erhalten. Ganz neu war das Konzept nicht, existiert doch bereits ein ähnliches Modell in Oberschleißheim. Mit Hans-Jürgen Gerhardt konnte für den Vorstand des Vereins ein wichtiges Mitglied gewonnen werden, wohnt seine Tochter doch bereits seit einigen Jahren in dem »Vorgänger-Modell« für das Haus in Höhenkirchen-Siegertsbrunn. »Von diesen Erfahrungen haben wir bei unseren Planungen enorm profitieren können«, betont Andrea Hanisch.

Mit dem »Heilpädagogischen Centrum Augustinum« (HCPA) wurde ein zuverlässiger Betreiber gefunden. Das Wohnheim, das im Oktober letzten Jahres eröffnet wurde, ist familiär strukturiert. In drei Gruppen wohnen die jungen Menschen zwischen 18 und 38 Jahren in einer Art WG zusammen. Rund 25 Quadratmeter groß sind ihre Einzelappartements, die Gemeinschaftsräume schließen direkt an sie an. So gibt es in jedem Stockwerk beispielsweise eine Gemeinschaftsküche, in der die Mahlzeiten gemeinsam zubereitet und gegessen werden. »Wie in jeder guten WG hat hier auch jeder einmal Küchendienst zu leisten und beim Kochen zu helfen«, erklärt Bereichsleiter Robert Limmer. Das Grundprinzip der Mitarbeiter lautet dabei immer: Mit dem Bewohner statt für ihn.

Am Wochenende und an Feiertagen wird in der großen Küche im Erdgeschoss für alle gekocht und an einer langen Tafel gemeinsam gegessen. Ansonsten gibt es am Wochenende vielfältige Freizeitangebote wie Ausflüge in den Tierpark oder die Allianz-Arena, aber auch die Möglichkeit einfach zu entspannen und einmal nichts zu tun. Alle Bewohner sind unter der Woche tagsüber entweder in der Arbeit oder einer anderen therapeutischen Einrichtung und kommen gegen 17 Uhr nach Hause, wo dann gemeinsam gegessen wird.

Jedes Appartement wurde von seinem Besitzer selber eingerichtet und gestaltet. So unterschiedlich die Bewohner sind, so unterschiedlich sind auch die Wohnungen. Da gibt es den Mädchentraum in Rosa genauso wie die Clubzentrale vom FC Bayern, zumindest denkt man das auf den ersten Blick, sieht man all die Poster, Fahnen und Wimpel seines Lieblingsvereins von den Wänden blitzen. Gerne zeigen die Bewohner ihre Wohnungen her und sind zu Recht stolz darauf, wie schön es bei ihnen ist. Eine weitere Besonderheit hat das Wohnprojekt zu bieten: da Viktor und Annika schon länger ein Paar sind, können sie hier gemeinsam wohnen.

Möglich wurde dies, weil ihre Eltern einfach zwei Appartements kauften und die Wand durchbrechen ließen. Jetzt leben und lieben die beiden gemeinsam, gelebte Inklusion, die auch die Möglichkeit auf eine glückliche Partnerschaft nicht ausschließt. Betreut wird das Projekt von geschulten Mitarbeitern, es ist immer ein Ansprechpartner für die Bewohner da, auch nachts. »Nicht für alle Eltern war der Schritt leicht ihre Kinder loszulassen, das ist bei unseren Bewohnern nicht anders, als bei Eltern nicht-behinderter Kinder«, so Robert Limmer.

Die Eltern dürfen ihre Kinder natürlich jederzeit besuchen und umgekehrt gilt das natürlich auch. So kommt es vor, dass am Abendbrottisch ein paar Menschen mehr sitzen als eigentlich in der WG wohnen. So wie in anderen WGs eben auch.

Wer sich weiter für das Vorzeige-Projekt interessiert, findet weitere Infos unter www.zukunft-trotz-handicap.de hw

Artikel am 12.04.2018 aktualisiert.

Artikel vom 11.04.2018
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