»Frühe Hilfen«

Haar und Grasbrunn gründen Netzwerk zum besseren Kinderschutz

Violetta Maciejewska, Sachgebiet Bildung & Soziales in der Gemeinde Haar, Haars 2. Bürgermeisterin Katharina Dworzak, Grasbrunns 1. Bürgermeister Klaus Korneder, Nicole Zeh, Leitung Haupt- und Personalamt Gemeinde Grasbrunn (v.l.).	Foto: Gemeinde Haar

Violetta Maciejewska, Sachgebiet Bildung & Soziales in der Gemeinde Haar, Haars 2. Bürgermeisterin Katharina Dworzak, Grasbrunns 1. Bürgermeister Klaus Korneder, Nicole Zeh, Leitung Haupt- und Personalamt Gemeinde Grasbrunn (v.l.). Foto: Gemeinde Haar

Haar/Grasbrunn · »Kinder sind ein großes Glück und eine große Herausforderung.« Mit der Feststellung spricht Haars Zweite Bürgermeisterin Katharina Dworzak, die im Mai ihr zweites Kind erwartet, wohl vielen Eltern aus dem Herzen. Die meisten Mütter und Väter meistern das Leben mit Kindern. Aber eben nicht alle. Einige brauchen Hilfe, und zwar frühzeitig.

»Frühe Hilfen« heißt darum auch das multiprofessionelle Netzwerk, das die beiden Gemeinden Haar und Grasbrunn aufbauen wollen. Gefördert wird es vom Bund, vom Freistaat und vom Landkreis München. Das Besondere an den »Frühen Hilfen« ist, dass soziale Dienste und Mediziner sich erstmals zusammenschließen, um belasteten Familien und Frauen Unterstützung anzubieten. Im Haarer Bürgerhaus fand nun der Auftakt statt mit Vertretern aus allen Bereichen.

Für Mediziner ist Netzwerkarbeit nicht alltäglich, bestätigte Christoph Liel vom Deutschen Jugendinstitut (DJI). Aber, es setze ein Umdenken ein. Dabei seien Ärzte bei der Früherkennung von Fehlentwicklungen ein wichtiger Partner, so der Fachreferent des Abends. Liel ist Sozialforscher und verantwortete 2013 / 14 zwei Studien zur Kindeswohlgefährdung. Untersucht wurde, warum manche Familien gefährdeter sind als andere und wie vorhandene Hilfsangebote angenommen werden.

In einer repräsentativen Umfrage wurden bundesweit 8.063 Familien und Alleinerziehende bei Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt befragt. Einen 23-seitigen Fragenbogen mussten sie ausfüllen, darunter auch die Frage nach eigener Gewalterfahrung.

Das Ergebnis: Erschreckende 5 Prozent der Teilnehmenden gaben Gewalterlebnisse an. 82 Prozent der Befragten wiesen weniger als zwei Belastungsmerkmale auf, 18 Prozent mehr als drei. Zu den Risikofaktoren zählen frühe oder ungewollte Mutterschaft, seelische Erkrankungen, alleinerziehend zu sein, schlechte Kindheitserfahrungen oder das Schrei- oder Schlafverhalten des Kindes. Geringe Bildung und Armut gelten als Verstärker, sind allein für sich aber kein Alarmsignal. »Kritisch wird es, wenn mehr als vier Risikofaktoren zusammenkommen«, stellt Liel fest. Dabei sei Kindeswohlgefährdung keine Milieufrage. »Opfer und Täter gibt es durch alle Schichten.«

Wie diesen Familien besser geholfen werden kann, wollten die Forscher ebenfalls wissen. Gibt es doch bereits eine Fülle von Angeboten und Diensten. Die Studie bestätigt, Schwangerenberatung und Hebammendienste erreichen auch die Frauen und Familien mit Gefährdungspotential. Elternkurse, Beratungsstellen, auch Onlinedienste und Gesundheitsfürsorge werden weniger gut angenommen. Für Liel ein Beweis, dass die frühen Hilfen der richtige Weg zum besseren Schutz von Eltern und Kind sind.

Haar und Grasbrunn wollen die lokale Hilfelandschaft nun effektiver gestalten. Angebote gibt es bereits zahlreiche, vor allem in Haar. Da lag es für Grasbrunn nahe, sich anzuschließen. In der Nachbargemeinde gibt es beispielsweise keinen niedergelassenen Kinderarzt. »Die beste Voraussetzung für die Netzwerkarbeit«, sagt Liel. Ein Patentrezept gebe es aber nicht, bestätigt Yvonne Grießhammer, Leiterin der Fachstelle AndErl (Guter Anfang im Kinderleben) im Landratsamt München. Nach ihren Aussagen läuft das Projekt der »Frühen Hilfen« erfolgreich in Unterschleißheim. Auch hier in Kooperation mit der Nachbargemeinde Oberschleißheim.

Kinderarzt Dr. Axel Becker, der seit 12 Jahren seine Praxis in Haar hat, ist überzeugt, dass es sehr sinnvoll ist zusammenarbeiten. »Wir sind keine Pädagogen, aber wir können ein Gespür dafür entwickeln, was die Familien brauchen, und durch den Austausch im System bessere Angebote machen.« Der Datenschutz wird natürlich gewahrt. Die Netzwerkpartner geben keine persönlichen Daten weiter, sondern nur Kontakte zu den jeweiligen Stellen. »In den allermeisten Fällen ist es wichtig, den Familien nichts überzustülpen«, sagt Yvonne Grießhammer. Nur wenn akute Gefahr für das Kind bestehe, können Behörden einschreiten und sich über den Datenschutz hinwegsetzen. Die »Frühen Hilfen« wollen genau das verhindern.

Eine interkommunale Steuerungsgruppe wird sich in den nächsten Wochen erstmals treffen und mit der Erstellung eines Adressenverzeichnisses beginnen. »Das ist der erste Schritt«, sagt Violetta Maciejewska, in der Gemeinde Haar zuständig für »Bildung & Soziales«. »Es ist gut, wenn man voneinander weiß.« Katharina Dworzak wünschte sich als Mutter und 2. Bürgermeisterin »einen ›Abend mit Langzeitwirkung‹; der Auftakt war vielversprechend.

Artikel vom 14.03.2018
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