Es wird immer enger

Fast jede zweite Lehrstelle in München unbesetzt

Traumberuf Anlagenmechaniker? Eine abstrakte Vorstellung, aber mit konkreten Vorteilen und einer Perspektive.	Foto: SWM

Traumberuf Anlagenmechaniker? Eine abstrakte Vorstellung, aber mit konkreten Vorteilen und einer Perspektive. Foto: SWM

München · Deutschland ist ein einziges Jobwunder. Immer mehr Arbeitsplätze, immer weniger Arbeitslose. Aber gut ist die Situation deswegen nicht. Denn die Arbeitgeber haben große Probleme. Nachwuchsprobleme.

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Laut aktuellem Bericht der Bundesagentur für Arbeit wurden in Stadt und Landkreis München von 7.792 angebotenen Ausbildungsplätzen im Berichtsjahr 2017/18 gerade mal 4.169 besetzt. Das ist nur etwas mehr als die Hälfte. Für die restlichen Stellen gibt es keine Bewerber. Oder um genauer zu sein: Es gibt keine geeigneten Bewerber.

Das ist eine der Erfahrungen, die Werner Albrecht immer wieder macht. Bewerber, die in der Schule ihre Schwächen hatten, gab es schon immer. Doch die Defizite, die den Ausbildungsbetrieben begegnen, machen auch den Personalchef mit langjähriger Erfahrung sprachlos. »Uns begegnen Schulabgänger mit großen Problemen in Deutsch und Mathe, zum Teil mit erschreckenden Leistungen«, berichtet Albrecht. Das beobachten auch die Ausbilder der Knorr-Bremse AG mit Sitz in München, wie Sprecherin Alexandra Bufe uns auf Nachfrage erklärt. Immer mehr Unternehmen hätten zwar Zusatzangebote, damit die Auszubildenden ihre Lücken schließen können, aber grundsätzlich ist das gar nicht ihre Aufgabe. Das deutsche Bildungssystem ist nach wie vor nicht stark genug, um alle mitnehmen zu können. Darum muss sich die Politik kümmern. Stattdessen macht es: die Firmenpolitik.

Das aber kann bei Weitem nicht jeder Ausbilder anbieten. Konzerne wie die SWM oder Knorr-Bremse tun sich da bedeutend leichter. 390 der 8.480 SWM Mitarbeiter sind Auszubildende. Dazu kommen 30 Praktikanten. In jedem Ausbildungsjahr stellt der Versorger dem Markt 140 Lehrstellen zur Verfügung. Doch die Zahl derer, die hier zugreifen können, sinkt. »Noch sind wir in der Lage, alle Plätze zu besetzen«, berichtet Albrecht. Noch. Aber die Auswahl wird geringer. Das bestätigt auch Alexandra Bufe für die Knorr-Bremse. Die meisten der aktuell 248 Konzern-Azubis werden an deutschen Standorten ausgebildet. Unbesetzt ist bisher keine Lehrstelle geblieben.

Bisher profitieren die SWM von Faktoren, die nicht jeder Arbeitgeber in Deutschland vorweisen kann. Faktoren, auf die der Konzern selbst Einfluss nehmen kann wie den Betrieb eines Ausbildungszentrums oder Werkswohnungen. Aber auch Faktoren, bei denen die SWM einfach Glück haben. Das Glück, mit München einen überregional attraktiven Standort zu haben. Eine ungebrochen prosperierende Region mit mehreren DAX-Unternehmen, hohem Freizeitwert und Lebensqualität, an dem sich Menschen aus ganz Deutschland bewusst niederlassen, darunter auch händeringend gesuchte Fachkräfte.

Diese rennen den Stadtwerken auch nicht gerade die Tür ein. Ganz im Gegenteil: »Heute bin ich der Bewerber«, berichtet Werner Albrecht von einem Vorstellungsgespräch, bei dem ein hochqualifizierter Bewerber mit seinen Fragen die SWM regelrecht nach Eignung abgecheckt hat. Das ist sein gutes Recht, schließlich sollen von einer Zusammenarbeit beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, profitieren, und das geht am besten, wenn beide Seiten auch zusammenpassen. An diesem Beispiel aber sieht man, wie sehr sich die Verhältnisse mit dem Schwinden von qualifizierten Fachkräften zugunsten der verbliebenen geändert haben. Sie können sich ihren Arbeitgeber aussuchen und dabei durchaus wählerisch sein.

Um sich den Rücken freizuhalten, gehen die SWM seit Jahren einen Weg ganz konsequent: Sie bilden ihre Nachwuchskräfte selbst aus. So könnten rund 95 Prozent der Auszubildenden aufgrund ihrer Leistungen übernommen werden. Der Rest verlasse die SWM nach der Ausbildung aus eigenem Antrieb. Fehlerquote? Null. »Bei mir bestehen alle«, sagt Albrecht selbstbewusst.

Trotzdem kommen auch große Arbeitgeber bei der Suche nach Auszubildenden den Grenzen immer näher. Dahinter stecke auch viel »Überlieferung«. Fachangestellter für Bäderbetriebe, das ist bei der Besetzung eines der Sorgenkinder der SWM. Der Beruf wird oft mit dem klassischen Bademeister in Verbindung gebracht, dabei ist das nur ein kleiner Teil der Arbeit. Besonders bei der Überwachung der Wasserqualität beispielsweise übernimmt der Fachangestellte große Verantwortung. Aber klar, die Aufsicht der Badegäste gehört auch dazu, mit Arbeitszeiten, die man mögen muss: mal morgens, mal abends und auch mal am Wochenende.

Schwierig wird’s auch beim Anlagenmechaniker, beim Elektroanlagenmonteur und bei der Fachkraft im Fahrbetrieb. Auch hier ist das Image eher hinderlich, denn der Beruf »Busfahrer« ist nicht eben gefragt. Als Fachkraft im Fahrbetrieb ist man zwar durchaus Busfahrer, aber auch noch einiges mehr.

Für Schulabgänger ist die bisweilen abstrakte Berufsbezeichnung ein Problem bei der Berufswahl. Hier können Berufsporträts Orientierung schaffen. Die Zeitschrift »12job« zum Beispiel erklärt einzelne Berufe denjenigen, für die das besonders interessant und wissenswert ist. Die Zeitschrift erscheint zweimal im Jahr, die aktuelle Ausgabe ist gerade frisch herausgekommen. Sie liegt im Großraum München an fast 400 Schulen aus, die ihre Schüler ins Berufsleben entlassen. Auch in den Geschäftsstellen der Bundesagentur für Arbeit und in vielen Rathäusern rund um München, in Stadtbibliotheken und Jugendzentren ist das 60 Seiten starke Heft kostenlos erhältlich – also überall da, wo künftige Schulabgänger anzutreffen sind. Nicht zuletzt ist das eine der Stärken des Magazins: Die Hauptzielgruppe muss nur noch zugreifen. Und das wiederum macht »12job« auch für Anbieter attraktiv, die ihre Ausbildungsstellen dort ausschreiben. Und sollte man doch kein Exemplar mehr bekommen, kann man auf www.12job.de auf das E-Paper zurückgreifen.

Hilfreich ist übrigens auch der Ratgeberteil, wie man seine Bewerbung formal sauber aufbaut. Den ersten Eindruck gibt’s nur einmal, der sollte sitzen. Daran ändert das Überangebot an Lehrstellen auch nichts, denn Arbeitgeber verzichten aus nachvollziehbaren Gründen eher auf eine Einstellung, als dass sie einen schlecht geeigneten Bewerber ins Boot holen. Ausbildung bedeutet für einen Arbeitgeber eine Investition mindestens im fünfstelligen Bereich.

Ob ein Bewerber weniger geeignet ist, stellt normalerweise der Anbieter der Lehrstelle fest. Doch auch hier bringt die Realität Bewerber und Anbieter um Chancen. Noch immer gibt es in der Bevölkerung Schranken im Kopf, die in »Frauen- und Männerberufe« trennen. Sehr zum Leidwesen der Arbeitgeber, wie Werner Albrecht betont: »Das ist unglaublich gespurt, dabei gibt es keinen Grund für die Aufteilung.« Den Arbeitgebern entgehe hier viel Potenzial. Frauen hätten in der Regel die besseren Schulabschlüsse, »aber sie gehen viel seltener in die technischen Berufe«. Die SWM gehen gezielt auf geeignete Bewerberinnen zu, immer im Kampf gegen bestehende Klischees. 22 Prozent der SWM Belegschaft seien Frauen. Die SWM würden den Anteil gerne erhöhen, aber bei den Rahmenbedingungen hilft auch keine Quote.
Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 09.03.2018
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