Zeichen der Verbundenheit

Ein Jahr nach dem Amoklauf: Ring aus Edelstahl erinnert an die Ermordeten

Neun Menschen wurden hier aus dem Leben gerissen. Nun wurde unter großer Anteilnahme ein ihnen gewidmeter Gedenkort eingeweiht.	Foto: Kulturreferat der Stadt München

Neun Menschen wurden hier aus dem Leben gerissen. Nun wurde unter großer Anteilnahme ein ihnen gewidmeter Gedenkort eingeweiht. Foto: Kulturreferat der Stadt München

München/Moosach · Der letzte Montag vor den Sommerferien. Die Kolleginnen kommen zur Arbeit, dann die traurige Nachricht: Sibels Sohn ist tot. Noch erschütternder: Niemand muss fragen, was geschehen ist. Sie wissen es.

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Vergangenen Samstag, 22. Juli, auf den Tag ein Jahr nach dem Amoklauf von München, wurde in den Vormittagsstunden das Denkmal »Für Euch« an der Hanauer Straße der Öffentlichkeit übergeben. Der zweieinhalb Meter hohe Edelstahlring erinnert an die Opfer des Amoklaufs vom 22. Juli 2016, darunter auch Sibel Leylas Sohn Can. Das Kunstwerk umschließt einen neu gepflanzten Ginkobaum.

Bei dem Gedenkakt mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und der Landtagspräsidentin Barbara Stamm sprach aus dem Kreis der Angehörigen auch Frau Leyla. Ihre Worte sind ihrem Sohn gewidmet: »Es tut mir so leid, dass ich dich an diesem Tag nicht schützen konnte«, beginnt sie mit zittriger Stimme. Nach wenigen Sätzen muss sie abbrechen. Der Schmerz und die Vorstellung, nie miterleben zu dürfen, wie ihr Kind seine erste Freundin nach hause bringt, er seinen Schulabschuss macht, volljährig wird, übermannen sie. Die Dunkelheit, von der sie sagt, dass sie sie begrabe, ist wohl für jeden Anwesenden spürbar. Tränen im Publikum.

Für alle, die an diesem Samstag an die Hanauer Straße gekommen waren, war es ein schwerer Gang: für Vertreter der Stadt, des Freistaates, für die Ersthelfer von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten und Krisen-Interventions-Team, besonders aber für die, die ihre Liebsten verloren haben.

Oberbürgermeister Reiter dankte ihnen ausdrücklich dafür, dass sie an diesem ersten Jahrestag hier her gekommen sind, an einen Ort, der für sie »mit unerträglichen Erinnerungen verbunden« ist.

Fast alle der neun überwiegend jugendlichen Todesopfer hatten einen Migrationshintergrund. Der Oberbürgermeister bezeichnete die grausame Tat daher auch als Anschlag auf das bunte, vielfältige und tolerante München. »Im Hinblick auf die Erkenntnisse, dass der Täter eine rechtsextreme Gesinnung hatte, gilt mehr denn je: Wir müssen auch weiter gemeinsam gegen jede Form von Extremismus, Rassismus und menschenverachtender Gewalt aufstehen«, so Reiter.

Der 22. Juli habe aber auch gezeigt, dass die große Stärke der Münchner Stadtgesellschaft in ihrer Solidarität liege. »Menschen haben einander die Tür aufgemacht und sich Schutz gewährt, und das in einer Situation, in der mutmaßlich draußen noch geschossen wurde. Das hat mich tief beeindruckt«, offenbarte der Bürgermeister.

Anschlussredner Horst Seehofer betonte, dass die Tat Bayern tief ins Mark getroffen habe. »So einen Verlust verkraftet man nicht in einem Jahr«, sagte der Ministerpräsident in Richtung der Angehörigen, denen er viel Kraft und Beistand wünschte. Er hoffe, dass das Denkmal auch zum Mahnmal werde – für Mitmenschlichkeit, auch inmitten der Unmenschlichkeit.

Landtagspräsidentin Barbara Stamm richtete ihre Worte direkt an die Hinterbliebenen. Sie bezeichnete das Denkmal als Symbol dafür, dass sie nicht allein sind. Der Erinnerungsort »ist ein Zeichen dafür, dass Ihre Lieben nicht vergessen werden. Sie haben hier für immer einen Platz unter uns.« Nach der Namenslesung in Erinnerung an die neun Todesopfer weihten Vertreter der Religionsgemeinschaften den Erinnerungsort ein.

Die Tat hat Bayern ins Mark getroffen, doch Moosach sitzt sie in den Knochen. Am Abend gedachten Vertreter des Bezirksausschusses (BA) und des Arbeitskreises »Wir alle sind Moosach« zusammen mit den Menschen aus dem Stadtteil am neuen Erinnerungsort der Getöteten. BA-Vorsitzende Johanna Salzhuber bedankte sich insbesondere bei den zahlreichen Jugendlichen für ihr Kommen und ihre Anteilnahme. Denn wie schon am Vormittag waren viele junge Menschen zugegen, um gemeinsam zu weinen, einander zu trösten und für einander da zu sein. Wie am jenem Tag, der von jetzt auf gleich das Leben ganzer Familien von Grund auf verändert hat, tat es gut, nicht allein zu sein.

Unter dem Motto »Wir stehen zusammen« setzte man ein Zeichen für den Zusammenhalt im Stadtteil. »›Wir stehen zusammen‹ bedeutet für uns: Niemand soll ausgegrenzt werden. Weder in der Schule noch im Beruf«, erklärte BA-Vorsitzende Salzhuber.

Die Schulband der Mittelschule an der Leipziger Straße sorgte für die musikalische Untermalung. Beim letzten ihrer drei Lieder rief sie die Zuhörer auf, sich an den Händen zu halten, um die Verbundenheit aller Menschen hier zu zeigen.

Diese Zeichen des Miteinanders und der Mitmenschlichkeit werden uns hoffentlich weit über den Jahrestag hinaus begleiten. Armela, Can, Dijamant, Guiliano, Hüseyin, Roberto, Sabine, Sevda und Selçuk sind im Tod verbunden. Nicht nur über ihr gemeinsames Schicksal, auch symbolisch über den Ring, der nun an der Hanauer Straße an sie erinnert. Der in seine Mitte gepflanzte Ginko soll sie ehren und den Trauernden Kraft spenden.

Der junge Baum braucht regelmäßig Wasser, um gut zu gedeihen. Auch der gesellschaftliche Zusammenhalt muss wie er gepflegt werden. Vor einem Jahr hat München seine Mitmenschlichkeit gezeigt. Diese Stärke muss man sich immer wieder vor Augen führen, gerade auch um sich gegenseitig Kraft schenken zu können.

Katja Brenner

Artikel vom 25.07.2017
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