Geschichte zum Anfassen

Ein bemerkenswertes Exponat wird aktuell in der Flugwerft ausgestellt

Mit diesem selbst gebauten Flugzeug mit einer Höchstgeschwindigkeit von 210 Stundenkilometern wollte eine fünfköpfige Familie aus der DDR flüchten. 	Foto: kw

Mit diesem selbst gebauten Flugzeug mit einer Höchstgeschwindigkeit von 210 Stundenkilometern wollte eine fünfköpfige Familie aus der DDR flüchten. Foto: kw

Oberschleißheim · Geschichtsunterricht aus erster Hand gibt es in der Flugwerft Oberschleißheim. Was die deutsche Teilung in manchen Fällen bedeutete, wird hier von einem kleinen, hellblauen, unscheinbaren Flugzeug erzählt.

Dabei handelt es sich um eine Dauerleihgabe für das Deutsche Museum, die vor Kurzem wegen der Modernisierung der Luftfahrtabteilung auf der Münchner Museumsinsel vorübergehend (voraussichtlich bis 2019) nach Oberschleißheim umgezogen ist.

Das Fluggerät hat es in sich: Eine fünfköpfige Familie wollte damit 1981 aus der DDR raus. Die Wagners wollten mit ihren drei Kindern (damals 17, 16 und sechs Jahre alt) in den Westen. »Republikflucht« hieß der Straftatbestand damals. Es ist schier unglaublich, welche Anstrengungen Menschen seinerzeit unternommen haben, um den »eisernen Vorhang« zu überwinden. Berühmt geworden sind die Familien Wetzel und Strelzyk, denen die Flucht 1979 mit einem selbst genähten Heißluftballon geglückt ist. 1981 wollte Gerhard Wagner, der sein Flugzeug, Marke Eigenbau, »DOWA 81« getauft hat, damit also »rüber machen«. Doch die Erbauer dieser Maschine kamen nicht weit. Sie wurden am Tag vor dem geplanten Start erwischt, eingesperrt, und später durch die Bundesrepublik freigekauft.

Die DDR hob die Maschine auf, gewissermaßen als »Beweismittel«. Mehr noch: Sie führte umfangreiche Untersuchungen durch, um den Nachweis zu führen, dass das abenteuerlich aussehende Gerät tatsächlich flugfähig ist. Ergebnis: Die Familie wäre damit wohl nach Westdeutschland gekommen. In der DDR wirkte das strafverschärfend, man sprach von einem »besonders schweren Fall«.

So abenteuerlich wie die Fluchtgeschichte ist auch der Bau des Flugzeugs. Um nicht aufzufallen, konnte nur Material verbaut werden, das normal in der DDR zu haben war: Zwei Motorradmotoren »MZ 250« mit je 19 PS beispielsweise, die die Druckschrauben antrieben. Diese waren selbst gebastelt und wurden heimlich auf einem ebenfalls selbst gezimmerten Prüfstand ausgiebig getestet.

Nun ist so ein Flugzeug nicht unbedingt unauffällig. Darum musste es zerlegt werden können. Vier Meter, länger war kein einziges Stück der Maschine, deren Abfluggewicht mit 580 Kilogramm angegeben wird. Das Fahrgestell unter den Tragflächen bestand aus Motorrad-Rädern, die ganze Konstruktion war spartanisch.

Eine Braunkohlegrube sollte als Startplatz herhalten. Doch es kam anders. Das Flugzeug ist trotz seiner nachgewiesenen Flugfähigkeit nie geflogen, sondern kam ins Museum nach München und nach Oberschleißheim, wo vor allem junge Menschen staunend davor stehen und sich nicht vorstellen können, wie das damals war.

Die Familie Wagner ist übrigens nicht die einzige, die es mit einem selbst gebauten Flugzeug versucht hat. Aber ihr Flugzeug ist erhalten geblieben. Es stand zunächst im »Traditionskabinett« der Stasi der DDR, wanderte später in die Ausstellung »Flucht-Mobile« im Museum für Deutsche Geschichte und wurde dann den Eigentümern zurück gegeben. Die Familie Wagner stellte es als Dauerleihgabe dem Deutschen Museum zur Verfügung. Gerhard Filchner, Leiter der Flugwerft in Oberschleißheim, sagte auf Nachfrage: »Es ist ein vielbeachtetes Exponat« und freute sich, dass es jetzt vorübergehend in Oberschleißheim ausgestellt wird.

Er stehe in Kontakt mit der inzwischen in Kaiserslautern lebenden Familie und bestätigte: »Die haben mit dem Flugzeug derzeit nichts anderes vor.« Geschichte zum Anfassen (aber nicht zum Berühren) wird in Oberschleißheim also noch mindestens bis 2019 erzählt. kw

Artikel vom 18.04.2017
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