Eine Frage der Wahrnehmung

Unterschleißheim · Bayernweit einzigartige Beratungsstelle nimmt am SBZ die Arbeit auf

Dr. Lydia Unterberger (Leiterin der CVI-Beratungsstelle), Ministerialrat Erich Weigl vom Bayerischen Kultusministerium und SBZ-Direktorin Hildegard Mayr bei der Eröffnung der neuen Beratungsstelle in Unterschleißheim.	Foto: VA

Dr. Lydia Unterberger (Leiterin der CVI-Beratungsstelle), Ministerialrat Erich Weigl vom Bayerischen Kultusministerium und SBZ-Direktorin Hildegard Mayr bei der Eröffnung der neuen Beratungsstelle in Unterschleißheim. Foto: VA

Unterschleißheim · Das Sehbehinderten- und Blindenzentrum Südbayern (SBZ) mit Sitz am Peter-Setzer-Platz in Unterschleißheim hat sein Angebot erweitert um eine »Multidisziplinäre Beratungsstelle für visuelle Wahrnehmung«.

Es ist eigenen Angaben zufolge ein in dieser Form einzigartiges Angebot, das vor allem Kindern helfen soll. Das SBZ kooperiert hier mit der psychologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München, um einen hohen wissenschaftlichen und fachlichen Standard zu gewährleisten. In Bayern gibt es keine zweite Beratungsstelle dieser Art.

Kinder nehmen die Welt anders wahr als Erwachsene. Das gilt auch im Bereich des Sehens. Gegenstände werden schon mal übersehen, Entfernungen falsch eingeschätzt oder Buchstaben und Wörter nicht richtig erkannt. Das ist Teil der normalen Entwicklung. Es kann sich dabei aber auch um Symptome handeln, die auf »CVI« hindeuten. Dabei handelt es sich um eine visuelle Wahrnehmungsstörung (engl.: Cerebral Visual Impairment), die auf einer unvollständigen oder fehlerhaften Verarbeitung visueller Eindrücke im Gehirn hindeutet, wobei die Augen völlig gesund und normal entwickelt sein können. Die Fachstelle wird geleitet von Dr. Lydia Unterberger und hat für betroffene Eltern, für Lehrer und andere, die sich mit Kindern beruflich befassen, telefonische Sprechzeiten eingerichtet: mittwochs außerhalb der Ferienzeiten ist das Telefon unter 0 89/31 00 01-43 06 von 14.30 bis 16.00 Uhr besetzt. Das Beratungsangebot ist für die Nutzer kostenlos.

Ein wichtiger Faktor bei der Beratung ist Zeit. Für eine ausführliche Beratung in einem komplexen Bereich der Gesundheitsfürsorge ist eine Terminvereinbarung mit der Beratungsstelle wichtig. Aber wann liegt tatsächlich CVI vor? Die Fachleute raten, das Kind zu beobachten. Sollten Eltern, Lehrer oder Erzieher bei einem Kind im Alltag Sehschwierigkeiten feststellen, ist zunächst der Augenarzt der richtige Ansprechpartner. Wenn der Fachmann für den »Sehapparat« keine Ursache für das Ausmaß der Wahrnehmungsstörungen finden kann, kann das Problem in der Verarbeitung im Gehirn des betroffenen Kindes liegen. Dann ist der Gang in die neue Beratungsstelle angezeigt. Anzeichen für eine Wahrnehmungsstörung kann sein, wenn das Kind bei Aufnehmen eines Spielzeugs öfter mal danebengreift, wenn es Gegenstände übersieht und darüberstolpert, aber auch, wenn Schwierigkeiten beim Unterscheiden von Formen, Buchstaben und Zahlen festgestellt werden.

Dann könnte das ein Thema werden für eine solche nähere Untersuchung des Kindes, denn mit diesen Schwierigkeiten können auch Verhaltensauffälligkeiten wie eine reduzierte Aufmerksamkeitsspanne einhergehen. Das Kind tut sich schwer, gerät unter Stress und das wiederum führt zu früherer Ermüdung.

Ein betroffenes Kind weicht dann auch Situationen aus, in denen es auf genaues Hinschauen ankommt (»visuelle Komplexität«) und das kann sogar zu Rückzugsverhalten führen. Das Kind meidet den Kontakt zu anderen Kindern. Darum ist die Fachstelle mit Psychologen besetzt. Zur weiteren Diagnose werden eine neuropsychologische und eine orthoptische Untersuchung angesetzt, um dann konkrete Behandlungsmaßnahmen für das Kind entwickeln zu können. Dafür stehen Computerprogramme zur Verfügung, die dann, nach einer entsprechenden Einweisung vor allem der Eltern, auch zu Hause genutzt werden können.

Grundsätzlich gilt auch hier: Je früher die Schwierigkeiten des Kindes erkannt und angegangen werden, desto besser. Mit anderen Fachbereichen der Einrichtung kann ein weiterführendes Angebot der Frühförderung in Gang gesetzt werden, die dann bis zum Schuleintritt reicht und damit den Schulstart leichter macht.

Dass Kinder unter Wahrnehmungsstörungen leiden, ist kein neues Phänomen. Erstmals gibt es mit der Einrichtung der Beratungsstelle in Unterschleißheim jedoch einen Ansatz, der eben nicht ausschließlich physiologische Gründe sucht. Da keine einheitlichen Kriterien festgelegt sind, ab welchen Symptomen CVI vorliegt, gibt es auch keine verlässliche Häufigkeitszahl. Eine Studie aus dem Jahr 2003 nennt 0,07 Prozent der einbezogenen Kinder und Jugendlichen. Klingt verschwindend wenig, aber bei den in Deutschland rund 16 Millionen Kindern und Jugendlichen läge die absolute Zahl der Betroffenen bei rund 11.000 Menschen – eine stattliche Anzahl, die jetzt die Chance haben, in Unterschleißheim Hilfe zu finden. kw

Artikel vom 12.04.2017
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