Es ist zwei vor zwölf

Das einzigartige Ismaninger Kraut droht auszusterben

Krautbauer Max Kraus präsentiert den klassischen Ismaninger Krautkopf.	Foto: ©Rudolf Böhler/texpics

Krautbauer Max Kraus präsentiert den klassischen Ismaninger Krautkopf. Foto: ©Rudolf Böhler/texpics

Ismaning · »’s krauteste Kraut werd’ z’Ismaning baut!« Was der Volksmund weiß, droht in Vergessenheit zu geraten. Das einst hochgeschätzte und gerühmte Ismaninger Kraut ist dabei auszusterben. Von den einst über hundert Krautbauern des auch als »Krautdorf« bekannten Ismaning sind heute noch zwei übrig geblieben.

Nikolaus Kraus und Max Kraus wollen nicht tatenlos dabei zusehen, wie dieses »landwirtschaftliche Kulturerbe Ismanings« untergeht. Gemeinsam mit dem Verein Slow Food und dessen Münchner Convivium (Ortsgruppe) wollen sie das Kraut wieder bekannt machen. Es ist schon sehr speziell, dieses Ismaninger Kraut. Kennzeichnend ist sein besonderer Bedarf. Denn das Ismaninger Kraut wächst nur in Ismaning. Versuche, diese eigene Weißkrautsorte anderswo anzubauen, sind bisher fehlgeschlagen. Das hängt wahrscheinlich mit dem sogenannten Almboden zusammen. Er enthält eine dicke Kalkschicht und ist in seiner Zusammensetzung eine Seltenheit. Eine Seltenheit, die dem Ismaninger Kraut zu seiner Konsistenz und seinem milden Geschmack verhilft. Seit Jahrhunderten ist die hohe Qualität des Ismaninger Krauts bekannt. Die älteste bekannte Erwähnung ist im Jahr 1509 datiert. Schon damals sicherte sich der Freisinger Bischof seinen Anteil an dem delikaten Gewächs und ließ die Krautköpfe karrenweise an seinen Sitz bringen – 2.500 Stück pro Jahr. Daher stammt auch die Bezeichnung »Bischofskraut«. Selbst aus Tirol kamen die Händler bis nach Ismaning, um das einzigartige Kraut einzukaufen.

Das Ismaninger Kraut ist sehr anspruchsvoll
Doch seine hohe Qualität hat den Niedergang des guten Krauts nicht verhindern können. Es ist ein sehr eigentümliches Gewächs, das den Landwirten die Arbeit nicht eben erleichtert. So ist das Ismaninger Kraut anspruchsvoll und braucht einen guten, hochwertigen Dünger. Die Form des Krautkopfes ist außergewöhnlich. Flachrund mit einem Gewicht von bis zu zehn Kilogramm pro Kopf, teilweise sogar schwerer; der Strunk sehr lang; damit lässt sich das Kraut nicht maschinell ernten. Wer mal einen Acker durchgearbeitet und die Krautköpfe geschnitten hat, der weiß, wie mühsam die manuelle Ernte ist. Das Ismaninger Kraut fordert aber genau dies. Darüber hinaus werden nicht alle Köpfe gleichzeitig reif. Manche sind früher erntereif, manche brauchen länger. Das muss der Krautbauer selbst feststellen, indem er regelmäßig seine Felder prüft. Auch dabei kann ihm keine Maschine helfen. Sind die Köpfe erstmal eingefahren, stellen sie die Landwirte vor ein neues Problem. Weil das Kraut nicht lange lagerfähig ist, ist auch die Saison kurz. Das klassische Wintergemüse Weißkraut ist als Ismaninger Kraut nur bis Januar zu bekommen – und inzwischen eben nur noch in den beiden Hofläden der letzten Ismaninger Krautbauern. Dort ist auch das Saatgut »ansässig«. Kein industrieller Hersteller hat diese Saat im Angebot. Wenn Max Kraus und Nikolaus Kraus sich einst entschließen sollten, den Krautanbau aufzugeben, dann wird das Ismaninger Kraut tatsächlich aussterben.

Noch kann davon keine Rede sein, denn diese lokale Spezialität wurde von der »Arche des Geschmacks« aufgenommen. Die Arche des Geschmacks ist ein Projekt des weltweit agierenden Vereins Slow Food. Über 3.000 Lebensmittelprodukte aus über 100 Ländern haben hier bereits ihren Platz gefunden, davon 59 aus Deutschland, davon wiederum drei aus dem Münchner Convivium – das Ismaninger Kraut eingerechnet. Die Arche ist kein Museum, sondern ein »Transportmittel«, um die bedrohten Lebensmittel durch aktive Arbeit wieder »in Mode« zu bringen. Das ist alles andere als ein Selbstläufer. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Ganz entscheidend ist dabei die Nachfrage. Steigt die Nachfrage, wird es für die Hersteller wieder attraktiver, ein bestimmtes Lebensmittel zu produzieren und anzubieten. Genau so soll es auch beim Ismaninger Kraut laufen. Die Nachfrage in den Hofläden muss das Angebot langfristig übersteigen. Daneben soll das Kraut im Handel und in der Gastronomie platziert werden. Für diesen Winter ist »der Zug abgefahren«, aber weil die Landwirte Kraus und Kraus noch weitermachen, kommt im Herbst 2017 die nächste Möglichkeit, ganz gezielt nach Ismaninger Kraut zu fragen. Zum Beispiel bei »Der Pschorr« am Viktualienmarkt, der mit dem Werdenfelser Rind schon einen Arche-Passagier auf der Speisekarte führt. Hier ist man dem milden Ismaninger Kraut gegenüber offen eingestellt.

Die Verbraucher haben es selbst in der Hand
Das Ismaninger Kraut ist eine echte lokale Spezialität. Und während man anderswo über Herkunftsbezeichnungen streitet, haben die Ismaninger ihr gutes Kraut fast vergessen. Dabei dürfen sie aber eines nicht übersehen: Sie haben die Rettung selbst in der Hand. Auch wenn die Erntesaison 2016 vorbei ist – auch im kommenden Herbst wird es das Ismaninger Kraut wieder geben. Wer sich das nicht entgehen lassen möchte, muss jetzt »bestellen«, also bei den beiden Ismaninger Krautbauern seinen Bedarf ankündigen. »Wir werden das Kraut wieder bekannt und begehrt machen«, versprechen die beiden Landwirte. Sie wissen, wie schlecht es um das Überleben des Ismaninger Krauts steht: »Es ist zwei Minuten vor zwölf.« Aber noch hat das letzte Stündlein für das Kraut nicht geschlagen. cr

Information:
Der Hofladen von Max Kraus in Ismaning befindet sich in der Bahnhofstraße 21, Telefon 0 89 / 96 88 73. Der Hofladen von Nikolaus Kraus in Ismaning befindet sich in der Freisinger Straße 22, Telefon 0 89 / 96 75 49.

Artikel vom 08.03.2017
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